Der ewige Zwist zwischen England und Spanien, der sich bis in die neue Welt nach Amerika zieht. In den Gewässern der Karibik ein britischer Kapitän, dem von einem Spanier das Ohr abgeschnitten wird. Jahrzehnte später der Kapitän eines Handelsschiffes im Mittelmeer, am Beginn einer Schatzsuche, die ihn über den Atlantik führen soll. Und endlose Geschichten über den Kolonialkrieg.
Zum Hintergrund:
Amerika wurde entdeckt und sowohl Spanien als auch Großbritannien haben sich dort Land unter den Nagel gerissen – sogenannte Kolonien. So auch in der Karibik, um die es hier geht. Spanien hat hier die Oberhand und kontrolliert auch die Gewässer rund um die karibische Inselwelt und Mittelamerika. Großbritannien ist wenig begeistert, dass es vom großen Kuchen nicht viel abbekommt in dieser Gegend. Der Schmuggel blüht.
Nun zum Buch:
Das Buch beginnt mit der namengebenden Geschichte und – so wird behauptet, ist für mich aber nicht nachvollziehbar – dem Grund für den Beginn des Kolonialkrieges 1739. Der Kapitän eines spanischen Küstenwachen-Schiffes schneidet dem britischen Kapitän eines Schmugglerschiffes ein Ohr ab. Das war (lt. Wikipedia) 1731.
Es folgt ein schriftliches Intermezzo im Jahr 1738, aus dem ersichtlich wird, dass die Geschichte um das abgeschnittene Ohr keineswegs genügend Furore macht, als das daraus ein Krieg entstehen könnte. Vielmehr geht der ein-ohrige Kapitän Jenkins dem Großteil damit auf die Nerven. Erst recht als er ständig irgendeinen Klumpen Fleisch im Glas herum zeigt.
Wir machen erneut einen Zeitsprung um ca. 30 Jahre in die Zukunft – so genau kann man das nicht sagen, weil es nirgendwo steht. Da sind wir im Mittelmeer und begleiten ein Handelsschiff, dessen Kapitän vor vielen Jahren am Kolonialkrieg teilnahm. Er erfährt durch einen seiner Matrosen von einem vermeintlichen Schatz in der Karibik. Zwecks Recherche suchen Kapitän und Matrose nun den Schriftsteller Tobias Smollett auf. Dieser war auf Seiten der Briten im Kolonialkrieg und hatte als Arzt wohl Kontakt zu demjenigen, der den Schatz versteckte. Sie erhoffen sich von ihm Informationen. Es folgt jedoch eine ellenlange und ermüdende Beschreibung des Krieges über knapp 180 Seiten. Für die Schatzsuche im Schnelldurchlauf bleiben dann noch ca. 100 Seiten.
An der Nase rumgeführt
Womöglich kann man schon am Ton der Inhaltsangabe ablesen, dass ich nicht so begeistert bin von dem Buch. Ich fühlte mich gleich mehrfach an der Nase herumgeführt. Gemäß Klappentext wird Kapitän Jenkins in der Karibik das Ohr abgeschnitten, er läuft plärrend nach Hause und sofort satteln die Briten die Pferde (bzw. bemannen die Schiffe) und es entbrennt der Kolonialkrieg in Mittelamerika. Und mitten drin steckt der junge Tobias Smollett, der später als Romanautor berühmt wird.
Ich erwarte also, dass wir Tobias auf dem Schiff bzw. durch den Krieg begleiten und das auch Jenkins eine große Rolle spielen wird. Falsch.
Ganz abgesehen davon, dass zwischen dem Ohren-Abschneiden und Kriegsbeginn 8 Jahre(!) liegen, springen wir soweit in die Zukunft, dass der Krieg inzwischen schon lange vorbei ist. Eine Jahreszahl wird hier wieder nicht mehr genannt, sondern aus dem Text ergibt sich, dass etwa 30 Jahre verstrichen sind. Stattdessen begleiten wir plötzlich ein Handelsschiff unter Kapitän Belmonte im Mittelmeer. Gut, denke ich mir, das liest sich ganz interessant, das ist okay. Als die Sache mit dem möglichen Schatz aufkommt, wird es auch etwas spannend. Eine Schatzsuche gibt ja immer was her. Aber auch das läuft irgendwie ins Leere.
Denn dann besuchen wir den gealterten Mr. Smollett und es folgt eine endlose Palaverei über den Kolonialkrieg. Es wird mit Daten und Namen im Schnelldurchlauf um sich geworfen. Der 3 Jahre andauernde Krieg wird sowohl aus britischer Sicht (von Smollett) als auch aus spanischer Sicht (von Belmonte) durchgekaut. Über 180 Seiten werden geschichtliche Daten herumgeschleudert, dass mir regelrecht übel wurde. Und ständige Zwischenfragen erforderten dann auch noch irgendwelche anderen geschichtlichen Exkursionen zu Biografien, Besitzungen und Landschaftsverhältnissen.
Die Schatzsuche, die das Buch interessant gemacht hat, bildete nur den Hintergrund für diese langatmige Unterhaltung und wurde dann recht zügig abgehakt.
Dass Gisbert Haefs fesselnd und spannend zu schreiben vermag, zeigt er meiner Meinung nach in dem Abschnitt wo der Leser Kapitän Belmonte durchs Mittelmeer begleitet. Die Schilderung des Kolonialkrieges, die wohl der eigentliche Inhalt des Buches sein soll, über einen endlosen Dialog hinweg ist aber ganz furchtbar.
Da wäre es in meinen Augen besser gewesen, Haefs hätte sich grundsätzlich auf eine Seite – nämlich die von Smollett, wenn der schon im Klappentext steht – beschränkt. So hätte Smollett als Erzähler während des Krieges auftreten können.
Meinetwegen hätte man auch während des Krieges Smollett und Belmonte begleiten können. Die Beiden hätten die Geschichte abwechselnd erzählt. Dann hätte man die Mittelmeer-Story und die Schatzsuche weglassen können, die beide völlig irreführend sind.
Zunächst habe ich mich ja auch über die beiden historischen Karten am Anfang des Buches gefreut. Allerdings sind diese für mich schwer zu entziffern gewesen, weil so wirr und überladen. Die im Buch genannten Orte und Buchten habe ich nur in den seltensten Fällen gefunden, was diese Karten im Grunde überflüssig macht.
Ihr merkt schon, es gibt ganz viele Sachen, die mir an dem Buch nicht gefallen haben. Dabei hat es im Grunde alles was man braucht für eine spannende und packende Lektüre. Die Umsetzung allerdings war überhaupt nicht mein Fall.
Mehr historische Romane:
Oliver Pötzsch mit seiner Henkerstochter-Reihe
Ralf Günther: Der Gartenkünstler und Der Dieb von Dresden
Sabine Weiß: Die Wachsmalerin und Das Kabinett der Wachsmalerin
Tom Reiss: Der schwarze General
Autorenporträt
Gisbert Haefs wird am 9. Januar 1950 in Wachtendonk am Niederrhein geboren. Er studiert Anglistik, Hispanistik und Romanistik, und ist während des Studiums Komponist, Chansonnier und Archäologe. Er arbeitet als Übersetzer aus dem Englischen, Französichen und Spanischen u.a. von Conan Doyle und Guy de Maupassant und ist Herausgeber der deutschen Werkausgaben von Rudyard Kipling und J. L. Borges.
Gisbert Haefs verfaßt Science-Fiction-Romane, Thriller und ist Autor der großen historischen Romane Hannibal, Alexander und Troja, sowie der beliebten Matzbach-Krimis. Sein Roman Hannibal wird ein Bestseller. Gisbert Haefs lebt in Bonn.
Buchinfo
„Das Ohr des Kapitäns“ von Gisbert Haefs, erschienen bei Heyne
Hardcover: 400 Seiten, € 19,99, ISBN 978-3-453-26930-9
Quellen
Bild/Autorenporträt: www.randomhouse.de / Text (außer Autorenporträt): Susanne
Pingback: Mein Bücherrückblick | Wortgestalten