Als 5-Jähriger landet Saroo in Kalkutta. Er hat sich verirrt und findet den Weg nach Hause nicht mehr. Auch freundliche Menschen können ihm dabei nicht helfen. Zu wage sind seine Angaben, zu fremd seine Sprache. Doch er wird vermittelt an ein australisches Ehepaar, das ein indisches Kind adoptieren will. Nach Jahren in einer liebevollen Familie bietet sich Saroo im neuen Jahrtausend mit Google Earth eine Möglichkeit nach seiner Heimat zu suchen.
„Ich musste herausfinden, woher ich kam, und sei es nur, um hinter mir zurücklassen zu können, was uneinholbar war. Ich wollte endlich den Ort wiedersehen, von dem ich immer geträumt hatte.“ Zitat Seite 165
Auf der Suche nach seinem älteren Bruder Guddu steigt der kleine Saroo irgendwo in Indien in einen Zug. Er wird darin eingeschlossen und landet nach unzähligen Stunden in einer riesigen Stadt: Kalkutta. Mehrere Wochen muss der gerade einmal 5jährige sich in dieser fremden Welt behaupten. Seine Versuche nach Hause zurück zu kehren scheitern, da er weder seinen Familiennamen noch den genauen Ort weiß, aus dem er stammt.
Er gerät in viele gefährliche Situationen, trifft Menschen die ihm Böses wollen, aber auch Menschen die ihm helfen. Schließlich landet er in einem Waisenhaus, in dem Kinder zur Adoption vermittelt werden.
Da seine Familie mit den dürftigen Angaben des kleinen Jungen nicht ausfindig gemacht werden kann, bietet man ihm Adoptiveltern an. Saroo ergreift die Chance und findet in Sue und John Brierley liebevolle und engagierte Eltern. Mit ihnen beginnt er ein neues Leben in Australien.
Als mit Google Earth ein Programm auf den Markt kommt, mit dem man die Welt von Zuhause aus entdecken kann, reift in dem inzwischen erwachsenen Saroo der Plan, sich so auf die Suche zu machen. Doch nach wie vor sind die Angaben und Erinnerungen aus seiner Kindheit wage. Angesichts der Größe Indiens scheint es ein aussichtsloses Unterfangen.
Mit Geduld und System aber durchstreift Saroo das weite Land. Nach monatelanger Suche wird er tatsächlich fündig. Und schließlich steht er in seinem Heimatort auch wirklich seiner leiblichen Mutter gegenüber. Sie hat auf ihn gewartet.
Überwältigend
Mir fehlen nach der Lektüre noch immer die rechten Worte. Ich habe es gerade zweimal hintereinander gelesen. Das Buch ist für mich so hochemotional, die Geschichte so unglaublich, dass ich kaum weiß, was ich schreiben soll. Ich möchte das Buch die ganze Zeit anfassen, streicheln, es in der Hand halten und an mich drücken, weil es eine so unfassbare Biografie enthält, die mir sehr nahe geht. Was sagt das über meinen Geisteszustand aus?
Ich wusste ja schon wie Saroos Geschichte endet: dass er seine Heimat und seine Familie findet. Und trotzdem habe ich über all die Seiten mitgefiebert und war vor Spannung teils ganz starr. Ich mochte das Buch gar nicht aus der Hand legen.
In unaufgeregten Sätzen und relativ neutral schildert Saroo seine Odyssee. Er wirkt weder verbittert noch traurig oder ärgerlich. Und doch sind überall Emotionen zu spüren. Die Angst und Panik des kleinen Kindes in einem verschlossenen Zug. Die Hilflosigkeit im riesigen Bahnhof von Kalkutta, wo niemand ihm zuhört und ihn versteht. Die unbestimmte Furcht vor manchen Menschen und das instinktive Vertrauen zu anderen Personen. Seine Liebe für seine Adoptiveltern, die Anspannung bei der Suche und das Gefühlschaos als er endlich seinen Ursprung gefunden hat.
Eine Geschichte angefüllt mit Freud und Leid, das auch noch so nah beieinander liegt. Ich bin völlig überwältigt.
Das eindrücklichste Buch, das ich dieses Jahr gelesen habe. Ich liebe es. Lest es unbedingt.
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Autorenporträt
Saroo Brierley wurde in Khandwa, Madhya Pradesh, Indien geboren. Er lebt heute in Hobart, Australien und fährt regelmäßig nach Indien um seine leibliche Familie zu besuchen.
Buchinfo
„Lion. Der lange Weg nach Hause“ von Saroo Brierley, erschienen bei Ullstein
Taschenbuch: 356 Seiten, € 11,99, ISBN: 9783548376479
eBook: 304 Seiten, € 9,99, ISBN: 9783843709705
Quellen
Bild/Autorenporträt: www.ullsteinbuchverlage.de / Text (außer Autorenporträt): Susanne
Den Film habe ich letzte Woche auch gesehen. Sehr beeindruckende Geschichte! Wahrscheinlich ist das Buch noch um einiges ausführlicher.
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Ja, das ist es. Für den Film haben sie auch ein bisschen was geändert. Saroo hat beispielsweise noch einen zweiten Bruder neben Guddu und seiner Schwester Shekila.
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