Aron Ralston: Im Canyon

Würdet Ihr Euch einen Arm abschneiden? Spontan ruft wahrscheinlich jetzt jeder Leser erstmal entsetzt „NEIN!“. Vielleicht verzieht Ihr jetzt auch das Gesicht angewidert und denkt Euch „Wäh, was stellt die denn für blöde Fragen?“ Der Gedanke ist natürlich furchtbar, aber tatsächlich glaube ich, dass die Frage falsch ist. Es geht nicht darum, ob man es tun würde, sondern wie verzweifelt man sein müsste, um es zu tun. So wie Aron Ralston, der sich 2003 den Arm selbst amputierte.

_Im CanyonAron Ralston ist 27 Jahre alt als er eine Wanderung im Blue John Canyon unternimmt. Abgesehen von zwei Wanderinnen, die er zufällig trifft, ist er allein unterwegs. Nach einer kurzen Wegstrecke gemeinsam, trennt sich das Trio wieder. Untypischerweise hat Aron niemanden davon unterrichtet wo genau er wandern geht und wann er wieder zurück sein will. Seine Pläne für die nächsten Tage sind vage.
Der passionierte und erfahrene Outdoormann hat schon unzählige Berge in Amerika, vornehmlich in Colorado, bestiegen. Auch im Alleingang. Er führt Wandergruppen, klettert, fährt Ski, ist leidenschaftlich gern draußen in der Natur und in Bewegung. Der Blue John Canyon ist ein eher einfacher Wander- und Kletterweg für ihn.
Ausgerechnet hier gerät nach einem Klettermanöver ein Felsblock in Bewegung. Aron der sich darunter in einer sehr engen Schlucht befindet, kann den Fels nicht wirklich abwehren. Bei dem hilflosen Versuch, wird seine linke Hand verletzt und die rechte Hand zwischen dem Fels und der Schluchtwand eingequetscht. Aron ist gefangen. Tagelang.
Alle Versuche sich zu befreien scheitern. Er hat nicht genug zu trinken und zu essen, schläft nicht, hat keine Beschäftigung. Vor allem aber besteht auch keine Aussicht auf Rettung. Denn niemand weiß wo er ist und die Chance zufällig gefunden zu werden ist verschwindend gering.
Per Videobotschaft auf seiner Kamera verabschiedet er sich von Familie und Freunden. Mit zunehmender Dehydrierung und ohne Beschäftigung flüchtet er sich in Trancezustände und Träume. Aron schließt mit dem Leben ab. Bis er in einer seiner Visionen sich selbst sieht – ohne rechten Arm, dafür einen kleinen Jungen umarmend. Seinen Sohn. Plötzlich ist da doch noch Lebenswille.
Seinen Arm zu amputieren fiel Aron schon am Anfang ein. Doch es braucht bis zum fünften Tag, um verzweifelt genug zu sein und den entsprechenden Geistesblitz zu haben, um die Amputation durchzuführen. Und damit ist es nicht getan. Nachdem er sich die rechte Hand abgeschnitten hat, gelingt es dem Verletzten noch 13km(!!!) zu laufen, sich sogar abzuseilen bis er endlich von einem Hubschrauber in ein Krankenhaus gebracht wird.
Bilder im Mittelteil vervollständigen Arons Schilderung und zeigen sein Leben vor, während und nach dem Unglück.

Packende und dramatische Realität

Dieses Buch zu bekommen, daran hatte ich schon nicht mehr geglaubt. Umso mehr habe ich gejubelt als es doch noch in meinem Postkasten landete. Ich wollte sie so unbedingt lesen, diese unfassbare Geschichte über einen Menschen, der so verzweifelt ist, dass er sich einen Teil seines Arms abschneidet. Wie kommt man in diese Situation? Wie trifft man diese Entscheidung? Und, wie zum Teufel, setzt man das in der Realität um???
Das Buch hat mich nicht enttäuscht. Es ist genauso spannend und dramatisch wie ich es mir dachte. Natürlich geht es nicht nur um Aron wie er im Canyon festsitzt. Vielmehr erzählt er auch seinen Werdegang, berichtet über seine Leidenschaft für Berge, das Klettern und Wandern, das Skifahren und Fotografieren. Aber er erzählt auch von den vielen Malen als er in brenzlige, sogar lebensgefährliche Situationen gerät. Sei das eine Lawine, die ihn und zwei Freunde mitreißt oder der Abstieg auf einem eisigen Fels, der ihn beinahe das Leben kostet. Oder als er sich mit einem Bären anlegt und mit ihm um seine Vorräte streitet.
Manchmal dachte ich bei mir, dass Aron ganz schön risikofreudig ist und es vielleicht eine logische Konsequenz ist, dass er in dem Canyon verunglückt. Was nicht heißen soll, dass ich denke er habe das verdient. Nur, jemand der so oft Glück hat … vielleicht ist das irgendwann mal aufgebraucht? Das ist bei Aron nicht der Fall. Denn er überlebt die Amputation, den langen Weg aus dem Canyon und die Rehabilitation. Schon Monate später klettert er wieder auf Berge.
Teilweise minutiös schildert er die Ereignisse und seine Unternehmungen, um seinen rechten Arm zu befreien. All die Verzweiflung, die Hilf- und Hoffnungslosigkeit sind spürbar und gingen mir sehr nahe. Dabei beschreibt er keineswegs wehleidig, obwohl die Schmerzen und die Pein unermesslich gewesen sein müssen.
Die im Mittelteil enthaltenen Bilder zeigen ebenfalls Arons Geschichte. Fotografien von seinen Touren vor dem Unglück und auch Bilder, die er von sich während seines Martyriums machte. Sein eingefallenes Gesicht und die großen Augen mit dem entsetzten fassungslosen Blick zeigen deutlich seinen Zustand – und verfolgen mich noch nach der Lektüre.
Eine absolut packende Geschichte. Beeindruckend und bewegend, spannend bis zum Ende. Ich kann „Im Canyon“ nur empfehlen.
Übrigens: Im Jahr 2010 wurde Aron tatsächlich Vater und bekam einen Sohn.

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Autorenporträt

Aron Ralston kam mit zwölf Jahren nach Colorado, wo er zum begeisterten Outdoor-Abenteurer wurde. Eine Karriere als Ingenieur gab er 2002 auf, um sich intensiver seinen Bergtouren zu widmen. Nach seinem Unfall hat er schon wieder etliche der höchsten Berge Amerikas erklommen.

Buchinfo
„Im Canyon. Fünf Tage und Nächte bis zur schwierigsten Entscheidung meines Lebens“ von Aron Ralston, erschienen bei Ullstein
Taschenbuch: Broschur, 384 Seiten, € 9,99, ISBN-13 9783548376073
eBook: 384 Seiten, € 8,99, ISBN-13 9783843714587

Quellen
Bild+Autorenporträt: www.ullsteinbuchverlage.de / Text (außer Autorenporträt): Susanne

Wenn Ihr das Buch gelesen habt, schreibt mir doch wie es Euch gefallen hat. Ich freue mich auf Eure Meinungen

7 Gedanken zu “Aron Ralston: Im Canyon

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