Klaartje de Zwarte-Walvisch: Mein geheimes Tagebuch

Anne Frank ist den meisten Menschen ein Begriff. Das jüdische Mädchen, das sich vor den Nazis versteckt hielt und über diese Zeit in ihrem Tagebuch schrieb. Als Anne und ihre Familie aufgestöbert werden, enden ihre Aufzeichnungen. Nun ist ein anderes Zeitzeugnis aufgetaucht, das an eben jenem Punkt beginnt: der Verhaftung durch die Nazis. Allerdings nicht geschrieben von Anne Frank, sondern der erwachsenen Klaartje de Zwarte-Walvisch. Klaartje führt Tagebuch inmitten des Irrsinns von Deportation und Konzentrationslager.

_Mein geheimes TagebuchEs ist der 22. März 1943. Klaartje de Zwarte-Walvisch ist 32 Jahre alt und lebt mit ihrem Mann in Amsterdam. Uniformierte klopfen an die Tür und holen das Ehepaar ohne Vorwarnung ab. Klaartje und Joseph werden zur Zentralstelle gebracht, später in die Holländische Schauburg – beides Sammelstellen für Transporte ins Konzentrationslager.
Tagelang sieht das Ehepaar mit an, wie sich die Räume füllen mit unzähligen Menschen. Manche konnten noch ein paar Sachen mitnehmen, andere kommen ganz ohne Habseligkeiten. Es ist eng, laut, schmutzig.
Erst nach endlosen Tagen werden Klaartje und ihr Mann ins KZ Herzogenbusch – auch Kamp Vught genannt – gebracht. Wurde dies bisher als eine der besseren Lager gehandelt, so ist Klaartje bei ihrer Ankunft entsetzt. Auch hier ist es laut und schmutzig, der Umgangston rau, die Aufseher unbarmherzig.
Klaartje und Joseph werden getrennt – die Männer  kommen in einen anderen Bereich des Lagers. Besuche sind nur einmal wöchentlich für eine Stunde gestattet. Der Tagesablauf wird bestimmt vom Appell stehen, teilweise stundenlang, vom Putzen der Baracke und von der Essensverteilung. Alles durchdrungen von den Grausamkeiten und Schikanen der Aufseher – seien es nun Deutsche oder Holländer.
Sie schreibt wann immer sie kann. Ist fassungslos über die immer neuen sadistischen Ideen, die Demütigungen und Kränkungen, die ihr und ihren Mitgefangenen wiederfahren. Sie berichtet über die schrecklichen Bedingungen in den Baracken, die beengten Verhältnisse, das schlechte Essen und die immer  neuen Erlasse, auch noch die letzten Kleidungsstücke und Habseligkeiten abgeben zu müssen. Und über die vielen Toten, besonders Kinder und Babys.
Am 4. Juli 1943 wird Klaartje schließlich ins Lager Westerbork gebracht. Ohne ihren Mann, der noch in Vught in einem Arbeitskommando tätig sein muss. In Westerbork enden ihre Aufzeichnungen. Wenige Tage später bringt man sie nach Sobibor, wo sie vergast wird.

Es ist ein kleines Wunder, dass die Aufzeichnungen von Klaartje nach so vielen Jahren doch noch ihren Weg in die Öffentlichkeit gefunden haben. Sie vertraute sie ihrem Schwager in Westerbork an, der den Holocaust überlebte. In seinem Nachlass überstanden sie die Jahrzehnte und gelangten schließlich ins Museum für Jüdische Geschichte in Amsterdam. Dort wiederrum wurden sie 2008 gefunden von Yfke Nijland und Suzanne Hendriks. Viele Menschen recherchierten fortan wer der Autor dieser Tagebücher ist und wurden nach einigen Umwegen endlich fündig: Klaartje de Zwarte-Walvisch. Sie erfüllten dann ihren Wunsch, diese Notizen mögen von den Menschen gelesen werden, damit sie von all den Grausamkeiten erfahren.
Soviel noch zur Geschichte des Buches.

Ein unglaubliches Zeitzeugnis, das fassungslos macht

Es ist tatsächlich ein unglaubliches Zeitzeugnis, dass Klaartje de Zwarte-Walvisch da geschaffen hat. Natürlich ist sie keine Schriftstellerin – das will sie auch nicht sein. Aber allein die Tatsache, dass sie trotz aller Gefährlichkeit Tagebuch führte ist äußerst beeindruckend.
Sie hat eine sehr gute Beobachtungsgabe und kann ihre Eindrücke auch detailliert wieder geben. Das macht ihre Schilderungen sehr lebendig und eindringlich.
Das Tagebuch ist eine sehr bedrückende Lektüre. Obwohl immer wieder auch Humor durchblitzt, den sich die Gefangenen bewahren. Unerlässlich in Zeiten solchen Martyriums. Klaartje spricht viel von den Demütigungen, der Gewalt, den bizarren Einfällen der Aufseher, die jeden Tag aufs Neue eine Erniedrigung bereithalten. Ihre Fassungslosigkeit dringt ungefiltert zum Leser durch.
Die aufwühlenden Aufzeichnungen werden ergänzt durch einen ausführlichen Anhang. In dem finden sich die Geschichte zur Entstehung des Buches, eine Nachwort von Leon de Winter sowie ein Glossar mit Erläuterungen zu verschiedenen Begriffen.
Ich finde es sehr gelungen. Wer sich für Zeitgeschichte interessiert, für Biografien, überhaupt für Menschen, der sollte unbedingt dieses Tagebuch lesen.

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Autorenporträt
Klaartje de Zwarte-Walvisch, geboren 1911, arbeitete in Amsterdam als Näherin und heiratete 1934 den Lagerarbeiter Joseph de Zwarte. Im März 1943 wurden beide in das Konzentrationslager Herzogenbusch (Kamp Vught) deportiert. Am 16. Juli 1943 wurde sie in Sobibór ermordet.

Buchinfo
„Mein geheimes Tagebuch März – Juli 1943“ von Klaartje de Zwarte-Walvisch, erscheinen bei C.H. Beck
Gebunden: 202 Seiten, mit 7 Abbildungen, € 17,95, ISBN 978-3-406-68830-0
eBook: 202 Seiten, € 13,99, ISBN 978-3-406-68831-7

Quellen
Bild+Autorenporträt: www.chbeck.de /  Text (außer Autorenporträt): Susanne

5 Gedanken zu “Klaartje de Zwarte-Walvisch: Mein geheimes Tagebuch

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