Charlottes Großvater ist ein lieber Opa. Er sammelt Briefmarken, kümmert sich liebevoll um seine Enkel. Charlottes Großvater ist aber auch Nazi. Er war Mitglied der SS , stationiert im KZ Sachsenhausen. Und er war der größte Geldfälscher im Zweiten Weltkrieg. Charlotte teilt das Schicksal vieler Kinder und Enkel, die versuchen diese beiden unterschiedlichen Persönlichkeiten unter einen Hut zu bringen. Welches Wesen entspricht ihrem Großvater? Liebender Opa oder gewissenloser Geldfälscher?
Charlotte Krüger kennt ihren Großvater als liebenden Opa, der leidenschaftlich Briefmarken sammelt. Dass er zudem im Zweiten Weltkrieg in der SS war und das größte und erfolgreichste Geldfälscherunternehmen geleitet hat, erfährt sie erst später. Für die Enkelin ist es schwer diese beiden Persönlichkeiten zu vereinen. Sie begibt sich auf Spurensuche. Spricht mit Zeitzeugen, mit Familienangehörigen und Bekannten, liest unzählige Protokolle aus der Nachkriegszeit über Prozesse und Ermittlungsakten der Alliierten. Sie recherchiert in Gedenkstätten, verschiedenen Archiven und in privaten Unterlagen, trägt alles zusammen, was sie über ihren Großvater Bernhard Krüger finden kann.
Über den Bernhard Krüger, der wie sein Vater vom Militärdienst angezogen wird. Der als arbeitsloser junger Mann in die SS eintritt und dort langsam aber stetig Karriere macht. Der schließlich mit dem „Unternehmen Bernhard“ betraut wird: der größten Geldfälscheraktion unter Hitler. Britische Pfundnoten sollen gefälscht und in Umlauf gebracht werden, um die Währung in Großbritannien zu schädigen. Dafür rekrutiert Bernhard Krüger insgesamt 140 jüdische Gefangene, unter anderem aus Auschwitz, die die falschen Banknoten herstellen sollen. Im KZ Sachsenhausen werden die Fälscher isoliert, sie haben eine Werkstatt im Block 18 und 19, bekommen diverse Vergünstigungen und sind Geheimnisträger. Was nichts anderes heißt, als das der Tod auf sie wartet, sobald das „Unternehmen Bernhard“ scheitert oder abgeschlossen ist.
Was hatte Bernhard Krüger mit den Todesfällen in seinem Block zu tun? Welche Verantwortung trug er? Welche Entscheidungen durfte er fällen und wann war er nur Befehlsempfänger? Hatte er ein schlechtes Gewissen? Wo lagen seine Prioritäten? Über allem die Frage „Was hätte ich denn tun sollen?“
Viele Fragen denen Charlotte Krüger nach geht. Antworten aber sind schwer zu finden.
Eine Spurensuche die unter die Haut geht
Ich finde es ein sehr mutiges Buch, denn das Thema mit dem Charlotte Krüger sich auseinander setzt ist kein einfaches. Für Außenstehende mag es leicht sein ein klares Urteil zu fällen, für Angehörige und Nachfahren gestaltet sich das schwieriger. Manche wollen es vielleicht gar nicht so genau wissen, was ihr Vater oder Opa unter Hitler getan (oder auch nicht getan) hat. Umso besser finde ich es, dass Charlotte Krüger so detailliert über ihre Suche schreibt.
Mir selbst war bisher das „Unternehmen Bernhard“ absolut unbekannt – auch der erwähnte Film ist offenbar an mir vorbei gegangen. Daher fand ich das Thema der Geldfälscherei an sich schon interessant. Die persönliche Note, die überall im Buch zu spüren ist, macht es noch greifbarer. Ich mag mir kaum vorstellen wie schwierig all die Recherchen waren, die Gespräche mit einem der jüdischen Geldfälscher, die Auseinandersetzungen mit Familie und überhaupt mit der Vergangenheit. Der Zwiespalt in dem Charlotte Krüger steckt ist deutlich.
In Anbetracht dessen finde ich es ein großartiges Buch. Es ist kurzweilig, interessant, aber keine leichte Kost. Ich kann es nur empfehlen.
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Autorenporträt
Charlotte Krüger, Jahrgang 1979, studierte Philosophie und Politik in Hamburg. Sie arbeitet im Redaktionsteam von Stefan Aust bei WeltN24.
Buchinfo
„Mein Großvater, der Fälscher – Eine Spurensuche in der NS-Zeit“ von Charlotte Krüger, erschienen Mai 2015 bei DVA
Hardcover / Gebunden mit Schutzumschlag: 352 Seiten, mit Abbildungen, € 19,99, ISBN: 978-3-421-04623-9
eBook: mit Abbildungen, €15,99, ISBN: 978-3-641-12474-8
Quellen
Bild: www.randomhouse.de / Text (außer Autorenporträt): Susanne
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