Imre Kertész: Roman eines Schicksallosen

Der Holocaust allgemein und Konzentrationslager im Besonderen sind auch heute noch ein heikles Thema, das Betroffenheit hervorruft. Viele Berichte und Bücher wurden darüber geschrieben – Teils von Überlebenden, Teils von deren Verwandten oder Menschen die nachgeforscht haben. Aber kein Buch schildert das Geschehen von Anfang und Mitte der vierziger Jahre so bedrückend und gleichzeitig komisch-erstaunt wie „Roman eines Schicksallosen“

_Roman eines SchicksallosenImre Kertész ist ungarischer Jude – wie György, der Hauptdarsteller seines Buches. Dieser wird im Alter von 15  Jahren eines Tages auf dem Weg zu Arbeit von einem Polizisten aus dem Bus und damit auch aus seinem bisherigen mehr oder minder sorglosen Leben geholt. Voller Spannung und Aufregung erleben er und seine jugendlichen Freunde den tagelangen mühevollen Transport nach Deutschland in ein Arbeitslager. Die Zwischenstation Auschwitz wird mit den gleichen unschuldigen Augen und dem naiven Geist eines Kindes betrachtet, wie später auch Buchenwald und sein endliches Ziel-Arbeitslager Zeitz. Teils komisch, teils makaber und teils entsetzlich muten die Schilderungen des „Alltags“ im Arbeitslager an. Die Befreiung 1945 beendet wohl die Gefangenschaft des Jungen, nicht jedoch seinen Leidensweg. Denn in der Heimat begegnet ihm Unverständnis und Ignoranz. Und dennoch behält er seine ungewöhnliche und nüchtern-wertfreie Sichtweise des Geschehenen.

Pervers, komisch, tragisch

Autor Imre Kertész erzählt auch seine eigene tragische Geschichte. Ein vielschichtiges Buch, dass sowohl pervers, komisch, tragisch als auch entsetzlich ist in seiner Unschuld. Dem Roman ist eine schlichte Ausdrucksweise mit zuweilen sehr langen Sätzen eigen. Man sollte sich also Zeit nehmen fürs Lesen. Nicht zuletzt auch da es des Themas wegen ein aufwühlendes Buch ist. Regelrecht unglaublich scheinen die Erlebnisberichte über die berüchtigten Konzentrationslager. Für jeden der Tatsachenberichte aus erster Hand bevorzugt, ist dieser Roman ein Muss.
An dem „Roman eines Schicksallosen“ arbeitete Imre Kertész bereits in den Jahren von 1960 bis 1973. Zunächst wurde der Roman abgelehnt, um schließlich 1975 von einem staatlichen Verlag doch veröffentlicht zu werden. Bedauerlicherweise wurde die Arbeit vorerst totgeschwiegen, bis ein offeneres Klima dem Thema gegenüber herrschte.
Das Buch wurde 1985 erneut aufgelegt und 1996 ins Deutsche übersetzt. Erst zu diesem Zeitpunkt setzte auch der internationale Erfolg des Romans ein.
Inzwischen wurde die eindringliche Beschreibung vom Leben im Konzentrationslager sogar vom ungarischen Regisseur Lajos Koltai verfilmt.

 

Autorenporträt
Imre Kertész, 1929 in Budapest geboren, wurde 1944 nach Auschwitz deportiert und 1945 in Buchenwald befreit. Nach Kriegsende arbeitete er zunächst als Journalist, ab 1953 dann als freier Schriftsteller und Übersetzer in Budapest. Mit seinem Roman eines Schicksallosen, 1975 in Ungarn veröffentlicht, gelangte er nach der europäischen Wende zu weltweitem Ruhm. 2002 erhielt er den Nobelpreis für Literatur. Imre Kertész lebt in Budapest und Berlin.

Buchinfo
„Roman eines Schicksallosen“ von Imre Kertés, erschienen Mai 2015 bei rororo
Taschenbuch: 288 Seiten, € 9,99, ISBN 978-3-499-22576-5
eBook: € 8,99, ISBN 978-3-644-10621-5

Quellen
Bild: www.rowohlt.de / Text (außer Autorenporträt): Susanne

4 Gedanken zu “Imre Kertész: Roman eines Schicksallosen

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