Chigozie Obioma: Der dunkle Fluss

Ben ist 10 Jahre alt als das Gefüge seiner Familie zunächst bröckelt und dann auseinander bricht. Hilflos muss er dabei zusehen. Alles beginnt damit, dass er und seine Brüder Fischer werden und am dunklen Fluss angeln. Dort treffen sie auf einen Verrückten. Dessen Prophezeiung für den ältesten Bruder Ikenna sät Angst und Misstrauen zwischen den Geschwistern. Und die ganze Familie bezahlt am Ende dafür.

Lieblingssätze: „Ich fand die Kaulquappen toll, das Glitschige, die übergroßen Köpfe und ihre Unförmigkeit, wie die Miniatur eines Wals. Gespannt beobachtete ich, wie sie an der Wasseroberfläche hingen, und meine Finger färbten sich schwarz, wenn ich die grau glänzende Schicht von ihrer Haut abrieb.“

Der dunkle FlussBen lebt in Akure, Nigeria. Mit ihm seine Eltern, seine älteren Brüder Ikenna, Boja und Obembe und die jüngeren Geschwister David und Nkem. Die Familie lebt in einem Haus, die Kinder gehen zur Schule, der Vater arbeitet bei der Zentralbank und die Mutter verkauft auf dem Markt Gemüse. Für seine Söhne erträumt sich das Familienoberhaupt Karrieren als Professor, Pilot und Arzt. Daher hält er sie an, sich zu bilden und viel zu lesen.
Die Familie wird auseinander gerissen, als der Vater versetzt wird. Er zieht in eine andere Stadt und besucht seine Familie nur noch jedes zweite Wochenende. Seine Söhne ermahnt er, der Mutter keinen Kummer zu machen. Doch die strengen Worte und seine Drohungen bleiben besonders den ältesten 4 Jungs nicht lange im Gedächtnis. Nach wenigen Wochen der väterlichen Abwesenheit machen sie sich auf zum Omi-Ala, dem dunklen Fluss. Schauergeschichten kursieren über ihn. In ihm zu baden, zu fischen, auch nur an ihm zu spielen ist verboten. Trotzdem beschließen Ikenna, Boja, Obembe und Ben nun Fischer zu werden. Sie wollen angeln, um die Beute entweder als Haustier zu halten oder zu verkaufen und etwas Geld zu verdienen.
Nach sechs Wochen will Ikenna das Fischerdasein beenden. Ein letztes Mal können seine jüngeren Brüdern in überreden mit an den Fluss zu kommen. Damit nimmt das Unglück seinen Lauf. Erst begegnen die vier Jungen dem unheimlichen Abulu, einem verrückten Obdachlosen, der nackt herumläuft und schlimme Zukunftsvisionen zeichnet. Auch Ikenna prophezeit er den Tod durch die Hand eines Fischers. Gleich danach werden die Jungen von einer Nachbarin gesehen und ihre heimlichen Ausflüge zum Fluss fliegen auf.
Die ordentliche Tracht Prügel, die sie dafür am folgenden Wochenende von ihrem Vater kassieren, ist jedoch nicht das Schlimmste. Viel dramatischer ist, dass die Brüder sich entzweien. Ikenna isoliert sich mehr und mehr. Zunächst nur von Obembe und Ben, dann auch von Boja, der ihm altersmäßig am nächsten steht. Ikenna verändert sich und zerstört die Strukturen der Familie. Das Drama lässt sich nicht mehr aufhalten.

Poetisch mit naivem Touch

Um gleich den letzten Satz der Inhaltsangabe aufzufassen: es ist ein Drama. Die Geschichte wohlgemerkt, nicht die Lektüre. Der erst schleichende Verfall und schließlich der komplette Zusammenbruch der Familie ist tragisch und keine leichte Kost. Mehrmals habe ich angesichts der geschilderten Brutalität schlucken müssen. Vom Lesestandpunkt her ist es eine sehr gute Geschichte. Sie ist fesselnd, man ist ständig gespannt, was wohl der Familie noch widerfährt, was noch alles passiert, wie sich vielleicht alles noch zum Guten wenden kann. Ort und Zeit bilden einen interessanten Hintergrund mit den Infos zur Lage in dieser afrikanischen Republik.
Mehr als die Geschichte, hat mich aber die Sprache überzeugt. Der Schreibstil ist poetisch, aber nicht übertrieben. Die Erzählung der dramatischen Ereignisse wirkungsvoll, weil nicht übertrieben emotional. Geschildert aus der Sicht eines Kindes hat es diesen naiven Touch, der den Leser mit dem Erzähler staunen und rätseln lässt über die Handlungen den Älteren und Erwachsenen.
Ich bin mir ehrlich nicht sicher, ob mir das Buch im Gedächtnis bleiben wird, aber die Lektüre war gut. Ich bleibe also bei der Empfehlung, die ich bereits in der Montagsfrage ausgesprochen habe.

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Autorenporträt
Chigozie Obioma, 1986 in Nigeria geboren, studierte Englisch, Literatur und Kreatives Schreiben auf Zypern und an der University of Michigan. Er gewann die Hopwood Awards für »fiction and poetry«, seine Essays erschienen u. a. in Virginia Quarterly Review und Transition. Von seinem Debüt »Der dunkle Fluss« wurden in kürzester Zeit Lizenzen in die USA, nach Australien, Brasilien, Frankreich, Italien und Spanien verkauft.

Buchinfo
„Der dunkle Fluss“ von Chigozie Obioma, erschienen 2015 im Aufbau Verlag
Hardcover: 313 Seiten, € 19,95, ISBN 978-3-351-03592-1
eBook: 313 Seiten, € 15,99, EAN: 9783841209122

Quellen
Bild: www.aufbau-verlag.de / Text (außer Autorenporträt): Susanne

 

 

 

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