Mit der Radiosendung „Briefe ohne Unterschrift“ bietet die BBC den Bürgern der DDR eine Möglichkeit ihre Meinung zu sagen und Kritik an dem Land zu üben in dem sie leben. Susanne Schädlich hat sich auf Spurensuche begeben und ist auf unzählige Briefe gestoßen im Archiv der BBC. Aber auch auf Akten der Staatssicherheit der DDR, denen die Sendung und ihre Macher mehr als nur ein Dorn im Auge war.
Hintergrund:
Der Zweite Weltkrieg ist zu Ende. Die Besatzungsmächte haben den Rest von Deutschland unter sich aufgeteilt: Den westlichen Teil unter der Aufsicht von Frankreich, Großbritannien und den USA und den östlichen Teil unter der Aufsicht der UdSSR. Während Westdeutschland sich entwickelt und aufblüht, wird Ostdeutschland zunehmend abgeschottet. Die Wahlen sind eine Farce, da es nur eine Partei gibt, die Lebensmittel sind knapp, der Sozialismus wird gepriesen und der Kapitalismus verteufelt. Wer Kritik am Land und seinen Machthabern übt, wer die falsche Kleidung trägt oder einer Religion angehört, der läuft Gefahr verhaftet zu werden.
„Petzak beschreibt die Persönlichkeit von Karl-Heinz Borchardt, als kenne er ihn am besten, sagt etwas über das, was der Schüler getan habe, die strafbaren Handlungen entsprechend den Untersuchungsergebnissen. Er zeigt die „Gesellschaftsgefährlichkeit“ auf. Er spricht über westliche Radio- und Fernsehsender, nennt sie aber Rundfunkstationen in den imperialistischen Ländern, die Sendunge bezeichnet er als Angriffe gegen die DDR.“ Zitat Seite 182 (Der „gesellschaftsgefährliche“ Karl-Heinz Borchardt, ein 18jähriger Schüler, hatte Briefe an die BBC geschrieben.)
Das Buch:
Während der Zeit des sogenannten Kalten Krieges, als Ostdeutschland immer mehr vom Rest der Welt abgeschottet wird und es lebensgefährlich ist eine eigene Meinung zu haben, schickt die BBC eine neue Radiosendung über den Äther: Briefe ohne Unterschrift.
Die Sendung will DDR-Bürgern eine Plattform bieten weitgehend unerkannt ihre Meinung zu sagen. Und obwohl es in der DDR verboten ist „Feindsender“ und „Hetzsender“ zu hören, hat die Sendung offenbar eine große Anhängerschaft.
Der Brite Austin Harrison liest die Briefe vor und kommentiert diese. Er fordert zum Dialog auf und benennt Schein-Adressen an die die Hörer schreiben können.
Vom Ministerium der Staatssicherheit – auch Stasi genannt – bleibt dies natürlich nicht unbemerkt. Die Mitarbeiter des Geheimdienstes sind sehr bemüht die anonymen Briefeschreiber zu finden und abzustrafen. So geschehen beim 18jährigen Schüler Karl-Heinz Borchardt. Der muss 2 Jahre in den Jugendknast, weil er BBC hörte und 3 Briefe an die Sendung „Briefe ohne Absender“ schrieb.
Neben vielen anonymen Briefen von Absendern aus der DDR zitiert Schädlich auch sehr viel aus den Stasi-Akten, die zu Austin Harrison und seinen Kollegen von der BBC angelegt wurden. Ganze Gespräche und Tagesabläufe sind in den Akten zu finden.
Interessanter Blick in die Vergangenheit
Aufgewachsen im sogenannten Tal der Ahnungslosen (da wo man in der DDR kein Westfernsehen oder – radio empfing) kannte ich diese Sendung nicht. Umso mehr hat mich das Buch interessiert.
Der Großteil besteht aus den Hörerbriefen und unzähligen Zitaten aus Stasi-Akten. Und der Schreibstil ist auch eher Stakkatomäßig, was das Lesen für mich recht holprig machte. Das lässt das Buch auch etwas unpersönlich, regelrecht distanziert wirken. Aber in meinen Augen sind der Inhalt und das Thema wichtiger als ein schöner Ausdruck.
Susanne Schädlich hat sich mit Zeitzeugen unterhalten und Akten gewälzt. Herausgekommen ist ein sehr beeindruckendes Bild der Zeit während des Kalten Krieges und hinter dem Eisernen Vorhang.
Immer wieder schmunzelte ich über die Formulierungen in den Stasi-Akten, weil sie so hanebüchen sind, so geprägt von Fanatismus, blindem Eifer und Angst vor Anders-Denkenden. Aber mit blieb auch immer wieder das Lachen im Halse stecken, weil das alles bitterer Ernst war und Menschenleben gefordert hat. So war es eine sehr aufwühlende Lektüre für mich.
Ich kann das Buch nur empfehlen.
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Zusatz-Geblubber in eigener Sache
Ich kann hier meine eigene Vergangenheit – so fern sie auch sein mag – nicht außen vor lassen. Als die Mauer fiel war ich 11 1/2 . Bis dahin lebte ich in der DDR. In einem Zipfel im äußersten Südosten, da wo man schon nach Polen spucken kann. Westfernsehen oder –radio konnten wir nicht empfangen. Im Volksmund war daher vom Tal der Ahnungslosen die Rede. Dass es trotzdem mehr als DDR-Fernsehen gab, wusste ich von den Verwandten im Westen. Von denen bekamen wir zu Weihnachten auch Päckchen mit Apfelsinen, Kaffee, Feinstrumpfhosen, Milka-Schokolade und Duschgel. Was haben wir uns gefreut. Meine Eltern haben zwischen den Feiertagen dafür gesorgt, dass es mir an nichts fehlte und dass ich eine glückliche Kindheit hatte. Ich weiß nicht was sie das gekostet hat.
Von der Unterdrückung, der Diktatur, der Verfolgung all den schlimmen Dingen die im Land geschahen, drang nichts bis zu mir. Mein Ziel als Kind war es dazuzugehören: erst zu den Jung-Pionieren, dann zu den Thälmann-Pionieren und später, mit 14, endlich, zur FDJ. Das hieß Ferienlager, gemeinsame Unternehmungen, Freunde treffen, Spaß. Bis zur FDJ hat es bei mir nicht mehr gereicht – die Wende kam dazwischen. Glücklicherweise.
Ich weiß nicht wo und wie ich heute wäre, bestünde die DDR noch. Wäre ich ein bereitwilliges Mitglied der Gesellschaft? Wäre ich Parteimitglied und ein glühender Verfechter des Sozialismus? Oder stünde ich dem Land und seiner Führung kritisch gegenüber? Würde ich meine Meinung sagen und Kopf und Kragen nicht nur meiner selbst sondern auch meiner Angehörigen riskieren? Und wie war das damals bei uns? Hatte die Stasi uns auf dem Schirm? Wurden wir wegen unserer Verwandten im Westen bespitzelt und ausgehorcht von vermeintlichen Freunden?
Diese Fragen stellen sich mir – nicht nur wenn ich Bücher über die DDR lese. Noch heute bemerke ich immer wieder mal, wie die Erziehung, die Indoktrination aus meiner Kindheit nachwirkt. Und das obwohl meine Eltern beispielsweise nicht der berüchtigten Partei angehörten. Mir wurden zuhause also keine sozialistischen Parolen um die Ohren gehauen.
Vor wenigen Jahren besuchte ich die in meiner Heimat gelegene Gedenkstätte Bautzen. Sowohl im Weltkrieg als auch in der DDR ein berüchtigtes Gefängnis – Stichwort: Gelbes Elend. Menschen wurden hier inhaftiert unter unwürdigen Bedingungen aus nichtigen Gründen. Weil sie Kritik übten an der Landesführung, weil sie homosexuell waren, weil sie Kontakt ins Ausland hatten oder gar versuchten aus der DDR zu fliehen, weil sie dem katholischen Glauben anhingen … oder eben weil sie der BBC einen Brief schrieben. Menschen, die nicht reibungslos im Getriebe des Sozialismus funktionierten, wurden benachteiligt, erpresst oder eben weggesperrt.
All das war mir als Kind fern und unbewusst. Darüber im Nachhinein etwas zu erfahren und zu lesen ist nicht einfach. Aber es lässt mich auch dankbar sein für die Gegenwart. Für den größten Teil zumindest.
Autorenporträt
Susanne Schädlich, geboren 1965 in Jena, ist Schriftstellerin und Übersetzerin. 2009 veröffentlichte sie den Bestseller »Immer wieder Dezember – Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich«. 2011 erschien ihr jüngstes Buch »Westwärts, so weit es nur geht«.
Buchinfo
„Briefe ohne Unterschrift. Wie eine BBC-Sendung die DDR herausforderte“ von Susanne Schädlich, erschienen bei Knaus Verlag
Hardcover: Gebunden im Schutzumschlag, 288 Seiten, € 19,99, ISBN: 978-3-8135-0749-2
eBook: ePub, 288 Seiten, € 16,99, ISBN: 978-3-641-19948-7
Quellen
Bild/Autorenporträt: www.randomhouse.de / Text (außer Autorenporträt): Susanne