1953 wird Sergej Lochthofen in Workuta geboren. In einem russischen Arbeitslager nördlich des Polarkreises. Sergejs Vater wurde zur Zwangsarbeit im Gulag verurteilt und lebte nach seiner Haft als Verbannter weiter mit seiner Familie dort. Nach der Rehabilitation reist die Familie 1958 in die DDR aus.
Sergej ist der jüngste von zwei Söhnen. Er besucht eine sowjetische Schule in der DDR. Sein Studium allerdings will er in der Sowjetunion absolvieren. Obwohl nach wie vor sowjetischer Staatsbürger, wird er von allen nur als Deutscher angesehen. Nach gerade mal zwei Semestern flüchtet er überstürzt zurück in die DDR. Der Sowjetische Geheimdienst kommt ihm zu nahe und er soll zum Wehrdienst herangezogen werden.
Er beginnt ein Volontariat bei der Zeitung „Das Volk“. Diese ist ein sogenanntes SED-Parteiorgan – eine Zeitung der SED-Bezirksleitung. Von freiem und unabhängigem Journalismus kann keine Rede sein. Dennoch studiert Sergej Lochthofen Journalistik und arbeitet fortan für „Das Volk“. Eigentlich heißt das nur, als Sprachrohr der Partei zu fungieren und entsprechend vorbereitete Pressemitteilungen abzudrucken. Eigeninitiative oder gar investigative Berichte sind nicht gewünscht. Sie werden nicht gedruckt und im schlimmsten Fall drohen dem Verantwortlichen Konsequenzen wie Haft.
Sergej versucht dennoch sich selbst treu zu bleiben. Wann immer es möglich ist und innerhalb seiner Grenzen ist er bemüht den Lesern etwas zu bieten, dass nicht von der Partei vorgegeben ist. Vielen Parteianhängern ist er daher durchaus suspekt. Allein sein Aussehen mit langem Haar und lässiger Kleidung macht ihn verdächtig. Dass er nach wie vor die sowjetische Staatsbürgerschaft besitzt, schürt ebenfalls Misstrauen.
Als die Wende 1989/1990 eintritt, ist Sergej Lochthofen als Berichterstatter vorne mit dabei. Auch hier versucht er die Leser wirklich zu informieren und nicht den Parteivorgaben zu entsprechen, denen nach wie vor an keinerlei objektiver Information gelegen ist.
Schließlich wird er 1990 zum Chefredakteur gewählt und das ehemalige SED-Parteiorgan wird eine unabhängige Zeitung unter dem Namen „Thüringer Allgemeine“.
So interessant wie erwartet
Es ist immer wieder interessant zu lesen, wie andere Bürger der DDR ihre Existenz dort erlebt haben. Bei Herrn Lochthofen machte mich zudem seine sowjetische Herkunft neugierig.
Alles in allem ist das Buch so interessant wie erwartet und erhofft. Es liest sich flüssig und durchaus leicht. Wenn auch das Thema bzw. das Erzählte nicht immer so leicht verdaulich ist. Einiges war mir durchaus vertraut, anderes aber eben auch neu. Ich könnte mir vorstellen, dass es für ehemalige DDRler und an Zeitgeschichte interessierte Leser eine spannende Lektüre ist.
Wenn mich das Buch auch nicht vom Hocker gehauen hat, empfehle ich es doch gern weiter.
Autorenporträt
Sergej Lochthofen ist Journalist. Geboren 1953 in Workuta (Russland), kam er als Fünfjähriger mit den Eltern in die DDR, wo er eine russische Schule besuchte; er studierte Kunst auf der Krim und Journalistik in Leipzig. Von 1990 bis Ende 2009 verantwortete er die Zeitung Thüringer Allgemeine. das Medium-Magazin wählte ihn zum regionalen «Chefredakteur des Jahres»; Fernsehzuschauer kennen ihn als Stimme des Ostens im ARD-Presseclub oder in der Phoenix-Runde.
Buchinfo
„Grau. Eine Lebensgeschichte aus einem untergegangenen Land“ von Sergej Lochthofen, erschienen bei Rowohlt
Taschenbuch: 496 Seiten, € 12,99, ISBN: 978-3-499-62863-4
Hardcover: 496 Seiten, € 19,95, ISBN: 978-3-498-03944-8
eBook: 496 Seiten, € 10,99, ISBN: 978-3-644-03821-9
Quellen
Bild/Autorenporträt: www.rowohlt.de / Text (außer Autorenporträt): Susanne
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