Alex Kershaw: Der Befreier

Alex Kershaw recherchiert über Soldaten im Zweiten Weltkrieg, die an der Befreiung der Konzentrationslager beteiligt sind. Bei diesen Recherchen fällt ihm eine kurze Bildserie in die Hände. Sie zeigt einen US-Soldaten, der mit seiner Waffe in die  Luft feuert. Der Soldat ist Offizier Felix Sparks. Soeben ist er mit seinen Männern im KZ Dachau eingetroffen und mit diesem Schuss ist er darum bemüht eine aus dem Ruder gelaufene Racheaktion an SS-Männern zu beenden. Kershaw hat sich näher mit Felix Sparks befasst und ein beeindruckendes Buch geschrieben.

„Regentropfen klangen beängstigend wie Schritte, das Fallen der Tropfen von den Zweigen hörte sich an, als würde der Feind näher und näher schleichen. … Die Fichten, die sich in Richtung Vaterland erstreckten, waren ebenso tödlich wie die Minen.“ (Zitat Seite 189)

Der BefreierFelix Sparks, geboren 1917 in Texas, ist kein glühender Soldat, der mit überschwänglicher Freude in die Armee eintritt, um seinem Vaterland zu dienen. Vielmehr veranlassen ihn Arbeitslosigkeit und Geldmangel dazu an einem Vorbereitungslehrgang für die US Army teilzunehmen.
Eigentlich will Sparks viel lieber Anwalt werden. Er beginnt sogar sein Jura-Studium. Doch 1941, nicht lange vor seinem Abschluss, wird er zur Army gerufen. In Europa tobt der Zweite Weltkrieg und Sparks ahnt noch nicht, welche Rolle ihm dabei zukommen soll in den folgenden Jahren.
Sparks ist Soldat im 157. Infanterieregiment – auch Thunderbirds genannt; ein zusammengewürfelter Haufen von Einwanderern und Eingeborenen. 1943 ist er gerade einmal 26 Jahre alt. Er erhält die Aufgabe mit seinen Männern an einem Strand auf Sizilien zu landen und dort die deutschen Besatzer zurück zu schlagen. Es wird ein verheerender Feldzug. Geprägt von Fehlern seiner Vorgesetzen, falscher Planung, Angst und Tod. Aber auch Mut, Siegeswille und Erfindungsreichtum zeigen sich. Sparks ist ein hervorragender Kommandeur, der sich auch um seine Leute kümmert. Dennoch verliert er so gut wie alle ihm untergebenen Thunderbirds. Auch nachrückende Soldaten werden gnadenlos verheizt.
Über 500 Tage dauert der entsetzliche Marsch von Sizilien über die Vogesen, durch ein sich-aufbäumendes Aschaffenburg, bis hin zum Konzentrationslager Dachau. Dort – und nur dort – verliert Sparks für etwa eine halbe Stunde die Kontrolle über seine ihm sonst so ergebenen Männer. Die Gräuel, die sich ihnen zeigen, schalten ihren Verstand aus.
Als er sie zur Räson ruft, ist der Moment für das Bild gekommen: Felix Sparks schießt in die Luft, um das sogenannte Dachau-Massaker zu beenden.
Nach dem Krieg verlässt Sparks die Armee, beendet endlich sein Studium und arbeitet fortan als Anwalt. Er stirbt im Jahr 2008.

Zeitgeschichte und persönliche Erlebnisse hervorragend verbunden

Wenn man das Buch sieht, könnte man etwas Angst bekommen, weil es so dick und mächtig scheint. Das täuscht aber. Ein guter Teil ist ohnehin den Anhängen gewidmet, letztendlich sind es nur 415 Seiten zu lesen. Ich gebe zu, immer noch eine Hausnummer. Aber ich glaube, wer sich ohnehin für das Thema interessiert, dem ist das egal.
Es ist jetzt eine knappe Woche her, dass ich „Der Befreier“ beendet habe und ich bin noch immer sehr beeindruckt. Mir fehlen auch ein bisschen die Worte, weil alles so unzureichend scheint. Berichte von Soldaten im Krieg (völlig egal ob Erster oder Zweiter Weltkrieg oder ein anderer Krieg auf dieser Erde) gehen mir immer sehr nahe. Und Alex Kershaw schildert die Ereignisse auch sehr lebendig. Sein Buch ist gespickt mit den Berichten und Interviews von Zeitzeugen (nicht zuletzt Felix Sparks selbst). Und soweit ich das beurteilen kann, hat er hervorragende Recherchearbeit geleistet – und auch alle die ihm geholfen haben.
Die Lektüre ist sehr eindringlich, weil alles so nahe wirkt; nicht als wäre es schon Jahrzehnte vergangen. Zu sagen man wäre unmittelbar dabei, ist insofern nicht richtig, weil man sich diese Situationen nicht einmal im Ansatz vorstellen kann. Aber er schreibt sehr realistisch und man füllt sich als stiller (und sicherer) Beobachter. Man fiebert mit Sparks mit, wenn er selbst oder seine Männer in Gefahr sind. Man flucht, weil irgendein Sesselfurzer aus der Ferne einen völlig hanebüchenen Befehl gibt. Man ist starr vor Entsetzen, wenn die Soldaten von den Granaten zerfetzt werden. Und man möchte sich die Ohren zuhalten, weil man die Verwundeten auf dem Schlachtfeld wimmern hört.
Die Bilder, die jedem Kapitel voran gestellt sind und sich auch in der Mitte des Buches finden, zeigen einem die Gesichter zu den Namen. Das macht für mich das Lesen immer etwas einfacher. Generell habe ich mich trotz der vielen Namen, die im Buch genannt werden, sehr gut reingefunden.
Schön fand ich auch, dass nicht nur starr die Truppenbewegungen von Sparks Kompanie beleuchtet werden, sondern auch bis zu einem gewissen Grad, was im Hintergrund bei den Vorgesetzten abläuft oder eben an anderen Frontabschnitten.
Um es mal mit den profanen Ausdrücken einer Rezensentin auszudrücken: das Buch ist sehr spannend und packend, äußerst interessant, sehr bewegend und eindringlich. Es ist gut und verständlich geschrieben, lebendig und gut recherchiert. Eine sehr beeindruckende Leistung. Sowohl was den Autor Alex Kershaw angeht als auch die Person, über die er schreibt: Felix Sparks.
Eine ganz klare Empfehlung!

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Autorenporträt
Alex Kershaw ist in England geboren, hat in Oxford studiert, Geschichte unterrichtet und dann als Journalist für wichtige englische und internationale Zeitungen und als Produzent für Fernsehdokumentationen gearbeitet. Heute lebt er in Massachusetts. Seine Bücher wurden in 12 Sprachen übersetzt, zwei waren New-York-Times-Bestseller.

Buchinfo
„Der Befreier. Die Geschichte eines amerikanischen Soldaten im Zweiten Weltkrieg“ von Alex Kershaw, 3. Auflage erschienen 2016 bei dtv
Hardcover: 488 Seiten, € 24,90, ISBN 978-3-423-28030-3
Taschenbuch: 496 Seiten, € 12,90, ISBN 978-3-423-34855-3
eBook: ePub, 496 Seiten, € 10,99, ISBN 978-3-423-42238-3

Quellen
Bild+Autorenporträt: www.dtv.de / Text (außer Autorenporträt): Susanne

Wenn Ihr das Buch gelesen habt, schreibt mir doch wie es Euch gefallen hat. Ich freue mich auf Eure Meinungen.

5 Gedanken zu “Alex Kershaw: Der Befreier

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