Heute geht es im weiteren Sinne mal um ein Bilderbuch. Nein, es ist kein Comic gemeint und auch kein Bildband. Es geht um einen Atlas über Orte, die es zum Großteil gar nicht gab. Also ein „Atlas der erfundenen Orte“ mit zahlreichen Bildern und vielen Anekdoten.
„Das Rhipaengebirge war nicht eben ortsfest, es passte sich der zunehmenden Weltkenntnis an, begann durch halb Europa zu wandern und überlebte so bis weit ins Mittelalter. … Es ist nahezu unmöglich festzustellen, ob der Mythos von den Rhipäischen Bergen auf einem konkreten Gebirge beruht, obwohl es einige gibt, die dazu passen. Die Kartografen konnten es sich praktisch aussuchen.“ (Zitat Seite 199)
Die Geschichte der Entdeckung der Welt ist inzwischen nahezu abgeschlossen. Man kennt die verschiedenen Kontinente, weiß, dass die Erde eine Kugel ist und kennt die diversen möglichen Seewege von A nach B.
Jahrhunderte zuvor war die Welt eine große Unbekannte und man schickte immer wieder Menschen – vornehmlich auf Schiffen – aus, um zu sehen, was es denn da noch gibt. Es wurde entdeckt was das Zeug hält: Fremde Länder, Menschen, Pflanzen, Tiere. Die Reisenden kehrten mit sagenhaften Geschichten zurück und zeichneten ihre Entdeckungen auf Karten ein.
Mitunter allerdings ging mit den Entdeckern aber auch die Fantasie durch. Da war von Inseln die Rede, die es gar nicht gibt, von Seeungeheuern, von sonderbaren Menschen, die mal nur ein Bein haben oder über 2,80m groß sind, von nicht vorhandenen Wasserstraßen oder riesigen Seen inmitten von ödem Land.
Während der eine Reisende schlicht eine Wolkenformation als Insel fehlinterpretierte, gab es andere, die sich all das absichtlich ausdachten, um zu Ruhm und Ansehen zu gelangen.
Edward Brooke-Hitching hat sich durch Unmengen alter Karten gewühlt. Er erzählt die Geschichte dieser erfundenen Orte, die sich teils mehrere Jahrhunderte auf diversen Landkarten hielten. Wer hatte sie „entdeckt“, wie waren sie im Laufe der Zeit über die Karten „gewandert“ und wer bewies schließlich, dass es sie gar nicht gab?
Eine fantastische Reise durch die Entdeckungsgeschichte der Erde.
Eine wahre Freude
Dieses Buch war für mich trotz der etwas unhandlichen Größe eine wahre Freude. Voller Humor und mit Liebe zum Detail beschreibt er die jeweiligen Irrtümer auf den verschiedenen Landkarten. Garniert mit vielen Anekdoten und – ganz wichtig – wundervollen Karten. Die sind für mich der eigentliche Star im Buch.
Unabhängig vom Wahrheitsgehalt der jeweiligen Karte sind diese oft sehr detailreich und kunstvoll gezeichnet. Vor allem die Carta Marina des Olaus Magnus (Doppelseite 56/57) hat es mir angetan, mit all den Ungeheuern und Schrecknissen der Meere.
Es muss eine wahnsinnige Recherchearbeit dahinter stecken all diese Geschichte zu den Inseln und Orten zu erzählen. Zumal vor allem die Inseln teilweise unter anderem Namen oder an anderer Stelle wieder auftauchen. Dafür hat Mr. Brooke-Hitching meinen ganzen Respekt.
Ich habe die Lektüre und das Ansehen der Karten sehr genossen. Ein außergewöhnliches Buch, das man immer mal zwischendurch zur Hand nehmen kann. Denn die Abschnitte zu den einzelnen Inseln oder Orten sind meist zwischen 2 und 4 Seiten lang, inklusive diverse Kartenabbildungen.
Ich empfehle das Buch sehr gern weiter, eben weil es nicht der typische Roman ist. Aber an alle Schriftsteller da draußen: ich finde in dem Buch stecken ganz viele Ideen für neue Romane und Abenteuerstorys.
Autorenporträt
Edward Brooke-Hitching ist ein preisgekrönter britischer Dokumentarfilmer, der sich vor allem für die exzentrischen Seiten des Lebens interessiert. Der Sohn eines Antiquars arbeitete in einer Eisfabrik, bei mehreren Zeitungen und am Theater, ehe er einen Abschluss in Filmwissenschaft an der University of Exeter machte. Ausgangspunkt für seine Recherche in Sachen geografischer Phantome war eine historische Karte aus dem Fundus der Familie. Er ist ein unverbesserlicher Kartenfreak und lebt in London zwischen staubigen alten Büchern.
Buchinfo
„Atlas der erfundenen Orte. Die größten Irrtümer und Lügen auf Landkarten“ von Edward Brooke-Hitching, erschienen Oktober 2017 bei dtv Sachbuch
Hardcover: 256 Seiten, Durchgehend vierfarbig, € 30,00, ISBN 978-3-423-28141-6
eBook: 256 Seiten, Durchgehend vierfarbig, € 25,99, ISBN 978-3-423-43244-3
Quellen
Bild/Autorenporträt: www.dtv.de / Text (außer Autorenporträt): Susanne
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