Dieses Buch hat jetzt leider recht lange darauf gewartet gelesen zu werden. Aber es hat tatsächlich seine Zeit gebraucht, bis ich dafür bereit war. Dimitri Verhulst verarbeitet in dem Buch eigene Eindrücke aus seiner Kindheit und Jugend im Kinderheim. Zwei bittere Geschichten mit ganz eigenem Humor, geschrieben in wunderschöner Sprache.
„Gianna sagte: >Das Problem ist nicht, dass es zu viele Menschen auf der Welt gibt. Das Problem sind die vielen Unerwünschten!<
Und du wusstest: Um diesen Satz je zu vergessen, müsstest du Alzheimer bekommen.“
(Zitat Seite 39)
Dimitri Verhulst erzählt zwei Geschichten. Beide handeln von unerwünschten Kindern. Kindern, die in Kinderheimen aufwuchsen, von Eltern misshandelt, missbraucht und weggeworfen.
In der ersten Geschichte sitzt der Erzähler bei der Beerdigung von Gianna. Seine Freundin aus dem Kinderheim hat sich das Leben genommen. Er selbst hat den Absprung geschafft und steht am Anfang eines eigenen Lebens in dem er Verantwortung lernt.
Auf der letzten Bank in der Kirche sitzend und den Worten des Geistlichen lauschend, treibt er durch Erinnerungen. Seine Gedanken wandern zurück in das Kinderheim Sonnenschein. Zu seinen Tischtennis-Spielen mit Gianna, den Nächten angefüllt mit Keuchen und Stöhnen, den unhygienischen Zuständen, all den Zeichen, dass die hier lebenden unerwünscht sind.
Im zweiten Teil führt uns der Erzähler durch die Geschichte von Sarah und Stefaan, die ihre beiden Kinder töteten. Neben dem Erzähler kommen auch die Eltern selbst zu Wort und rekapitulieren in einem Dialog die Ereignisse.
Ein kleiner Schatz voller bitterer Poesie
Noch eine Buchmesse-Entdeckung. „Die Unerwünschten“ wurde vom Autor selbst vorgestellt und hat mich schon damals beeindruckt. Ganz abgesehen davon, dass Dimitri Verhulst eine tolle Stimme hat und er mir das Buch in seiner Sprache auch hätte vorlesen dürfen. Egal ob ich was verstanden hätte.
Jedenfalls … das Buch ist noch heftiger als ich dachte. Obwohl schon die erste Geschichte erschüttert, hat mich die zweite weitaus mehr schockiert.
Zunächst einmal gefallen mir Sprache und Schreibstil von Verhulst sehr gut. Er hat eine eigene bittere Poesie, um all die schlimmen Dinge zu berichten. Die Schilderungen wirken authentisch, was sicherlich seinen eigenen Erfahrungen geschuldet ist. (Ich mag mir gar nicht ausmalen, wie viel davon autobiografisch ist.)
Die beiden Geschichten selbst haben unterschiedliche und für mich ungewöhnliche Erzählweisen. In der ersten spricht der Erzähler quasi mit sich selbst. Er erinnert sich an die Vergangenheit, ruft sich Ereignisse wieder ins Gedächtnis und zeigt sie so auch dem Leser.
Die zweite Geschichte wirkt wie eine Unterhaltung. Als säßen Sarah und Stefaan in einem Raum und unterhielten sich, während der Leser sie im Nebenraum durch ein Fenster beobachtet. Und ihm zur Seite steht der Erzähler, der zum Gespräch ergänzende Informationen gibt. Dies wirkt äußert surreal und in Anbetracht des Themas auch überaus krank.
Es klingt wieder so komisch, wenn ich sage, dass ich dieses Buch einen kleinen Schatz finde. Allein wegen der Sprache und der Art zu erzählen, die Verhulst hat. Uneingeschränkt empfehlen kann ich es aber natürlich nicht, denn der Inhalt ist nicht für jeden was. Bevor Ihr Euch das Buch kauft, lest lieber erstmal rein.
Autorenporträt
Dimitri Verhulst wurde 1972 in Aalst, Belgien, geboren und gilt als einer der besten auf Niederländisch schreibenden Schriftsteller. Der Roman »Die Beschissenheit der Dinge«, in dem er seine eigene Geschichte erzählt, war ein Nr.-1-Bestseller, wurde für den AKO-Literaturpreis nominiert und mit dem Publikumspreis »Goldene Eule« ausgezeichnet. Die Verfilmung von Felix van Groeningen wurde in Cannes mit dem Prix Art et Essai prämiert. Dimitri Verhulsts Werke sind in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt und wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.
Buchinfo
„Die Unerwünschten“ von Dimitri Verhulst, erschienen bei Luchterhand
Hardcover: Gebunden mit Schutzumschlag, 144 Seiten, € 18,00, ISBN: 978-3-630-87479-1
eBook: epub, € 13,99, ISBN: 978-3-641-16602-1
Quellen
Bild+Autorenporträt: www.randomhouse.de / Text (außer Autorenporträt): Susanne
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