Tessa Korber: Ich liebe dich nicht aber ich möchte es mal können

Schiefe Blicke, abfällige Kommentare gehören mittlerweile zu Tessa Korbers Leben. Seit ihr jüngster Sohn an Autismus leidet, ist ihr Leben komplett auf den Kopf gestellt. Kaum eine ruhige Minute hat Tessa Korber, denn Simon verlangt ihre ganze Aufmerksamkeit. Wie es sich mit einem autistischen Sohn lebt, beschreibt sie in ihrem Buch „Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können“.

_Ichliebe dich nicht aber ich möchte es mal könnenIhr Leben scheint perfekt. Tessa Korber hat ein Haus, einen Mann und ihre Söhne Jonathan und Simon. Auch in Sachen Karriere kann Tessa Korber ganz zufrieden sein. Sie arbeitet von zu Hause aus und geht ihrem Traumberuf als Schriftstellerin nach.
Die Idylle löst sich auf, als ihr jüngster Sohn Simon etwa 3 Jahre alt ist. Vom Kindergartenpersonal häufen sich die Beschwerden, weil der Junge nicht mitspielt, sich nicht integriert sondern sich eher zurück zieht. Ganze zwei Jahre dauert es, bis die Diagnose Autismus und Angststörung feststeht. Zwei Jahre voller Bangen und Hoffen, voller Wut- und Schreianfälle, Schlafmangel, Ratlosigkeit, Stress und Verwirrung. Und dabei ist das nur der Anfang.
Tessa Korber beschreibt den Alltag mit ihrem autistischen Sohn. Die täglichen Herausforderungen, weil Simon ständig beschäftigt sein will und muss. Die Notwendigkeit täglich die gleichen Rituale auszuführen, den Tagesablauf bis ins Kleinste zu wiederholen – alles zur gleichen Zeit. Simon Schritt für Schritt anzuleiten bei allem was er tun soll, um bis zu einem gewissen Grad eigenständig zu sein. Seiner Zerstörungswut Herr zu werden und ihm doch nicht die Schuld dafür zu geben.
Die bürokratischen und menschlichen Hürden die man nehmen muss. Die Kämpfe die sie für Simon in Sachen Schule und Bildung, für seine Lebensunterstützung generell ausfechten muss. Immer wieder aufs Neue muss sie sich beispielsweise um seine Begleitperson in der Schule bemühen, die für ihn die Verbindung zur Außenwelt ist.
Der Spagat einerseits seiner großen Intelligenz und seinem Wissensdurst gerecht zu werden, aber auch seiner Soziophobie bzw. seinen Angstzuständen Rechnung zu tragen. Eine schier unlösbare Aufgabe, da es an entsprechenden Einrichtungen in Deutschland mangelt.
Und über all dem nicht den Mann und den zweiten Sohn vergessen, die ohnehin zurück stecken müssen. Und auch für sich selbst nicht den Mut verlieren, nicht kaputt gehen an dieser ausweglosen Situation.

Aufwühlender, berührender und mitreißender Bericht einer Mutter

Es ist eine komische Fügung, dass ich Tessa Korbers Geschichte unmittelbar nach dem Buch von Rachel Macy Stafford gelesen habe. Während Stafford sich mit dem (Luxus-)Problem herumschlägt, sich zu wenig Zeit für ihre Kinder zu nehmen, hat Tessa Korber alle Hände voll zu tun mit ihrem autistischen Sohn. Ungleicher können zwei Bücher kaum sein.
Korbers Bericht über ihr turbulentes und aus den Fugen geratenes Leben ist aufwühlend, berührend und mitreißend. Ich schätze ihre Ehrlichkeit, mit der sie von ihren dunkelsten Gedanken und Momenten spricht. Es ist weit glaubwürdiger als Staffords Buch. Dazu trägt sicherlich auch Korbers Schreibstil bei, den ich als sehr angenehm und unterhaltsam empfinde.
Obwohl die Szenen von denen Tessa Korber schreibt oft nicht einer gewissen Komik entbehren, blieb mir doch oft das Schmunzeln im Halse stecken. Es ist eben nicht zum Lachen, übermüdet in eine mit Ketchup vollgeschmierte Küche zukommen. Es ist nicht zum Lachen, wenn dein Kind alles Mögliche vom Balkon wirft. Und es ist auch nicht zum Lachen, wenn dein Kind an eine Wand pinkelt, wo es bisher ein Urinal vorfand und dieses jetzt weg ist, aber dein Kind aus dieser Änderung keine Konsequenzen ziehen kann.
Umso berührender sind die Szenen in denen Tessa Korber davon spricht, wie ihr Sohn einen klaren Satz sagt oder sie einen regelrecht magischen Moment mit ihm hat. Denn die gibt es. Selten. Auch die Momente in denen sie zugibt wie anstrengend das alles ist und manchmal nicht mehr weiter weiß.
Für mich ist Tessa Korber eine Mutter, die in bester Absicht alles für ihr Kind tut und die größte Bewunderung verdient. Eine Frau der ich wünsche, dass sie nicht hadert – egal welche Entscheidung sie für Simons weiteres Leben trifft. Denn die Geschichte bzw. das Leben ist ja noch nicht zu Ende – für Tessa Korber und Simon und ihre Familie gilt es nach wie vor, das schwierige Leben als Autistenmutter und Autist zu meistern.
Und auch Simons Bruder Jonathan finde ich äußerst bemerkenswert. Ein Junge, der bereits im frühen Alter Simons Krankheit einen eigenen Namen – „Werner“ – gibt und so eben nicht auf seinen Bruder, sondern auf Werner schimpfen kann. Und der trotz allem eine enge und innige Beziehung zu seiner Mutter hat und die Zeit nutzt, die ihnen bleibt.
Ich habe das Buch mit großem Interesse gelesen und ich bin sehr sehr beeindruckt. Über die Literaturhinweise am Ende des Buches freue ich mich besonders – da werde ich mich sicherlich bedienen.
Ich persönlich empfehle das Buch sehr gerne. Es ist kein Heile-Welt- oder Alles-wird-gut-Buch, es hat kein Happy End und es ist voller Sätze, die Müttern gemeinhin nicht zugestanden werden. Wer das nicht erträgt, sollte die Finger davon lassen. Wer sich aber für die Realität interessiert, für die Krankheit Autismus und den Alltag damit, dem sei die Lektüre ans Herz gelegt.

Autorenporträt
Tessa Korber, Jahrgang 1966, ist Autorin zahlreicher historischer Romane und Krimis. Sie lebt in der Nähe von Nürnberg und ist Mutter von zwei Kindern. 2000 wurde ihr autistischer Sohn geboren.

Buchinfo
„Ich liebe dich nicht aber ich möchte es mal können“ von Tessa Korber, erschienen Juni 2015 bei List
Taschenbuch: 320 Seien, € 9,99, ISBN-13 9783548612775
eBook: Format: ePub, 320 Seiten, € 8,99, ISBN-13 9783843703130

Quellen
Bild: www.ullsteinbuchverlage.de / Text (außer Autorenporträt): Susanne

4 Gedanken zu “Tessa Korber: Ich liebe dich nicht aber ich möchte es mal können

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