Marcel Reich-Ranicki: Mein Leben

Ein Leben vollgepackt mit Literatur, mit Theater und Zeitgeschichte. Eine Autobiografie voll mit namhaften Schriftstellern, Poeten, Künstlern, Schauspielern. Marcel Reich-Ranicki lässt eine immense Riege an berühmten und auch weniger bekannten Namen am Leser entlangfließen. Immer in Verbindung natürlich zu seinem eigenen Leben und Schaffen. Kein einfaches Leben und auch keine einfache Lektüre.

_Mein LebenDer Autor wird im Juni 1920 als Marcel Reich in Wloclawek an der Weichsel in Polen geboren. Die Eltern sind Juden. Seine aus Berlin stammende Mutter Helene beschreibt er als liebevoll, aber weltfremd. Den Vater, ein Fabrikbesitzer, als musischen Menschen, aber für den Kaufmannsberuf ungeeignet. Daher ist der Ruin der Fabrik keine Überraschung.
Marcel, der als einziges von den drei Kindern der Familie, in Polen eine deutsche Schule besuchen darf, wird nach Berlin geschickt. Der finanzielle Engpass der Familie ist der Grund. Der Junge wohnt bei Verwandten und besucht das Gymnasium. Später kommt auch die Familie nach Berlin. Seine Zeit außerhalb der Schule verbringt Marcel mit Büchern sowie Theaterbesuchen. Seine große Liebe zur deutschen Literatur wird geweckt und ihn von nun an stets begleiten.
1938 wird die gesamte jüdische Familie Reich nach Polen ausgewiesen und lebt zunächst in Warschau. Dort lernt er seine spätere Frau Tosia kennen. Es folgt die Zeit im Warschauer Ghetto, seine Arbeit beim Judenrat, die eilige Heirat mit Tosia und schließlich die Flucht inmitten der Deportation. Das junge Ehepaar überlebt bei der hilfsbereiten Familie eines Schriftsetzers. Damit die etwas wankelmütigen Beschützer ihnen gewogen bleiben, helfen sie beim Zigaretten-drehen und Marcel erzählt allabendlich aus Büchern, Theaterstücken und Opern. Bis zum Ende des Krieges bleiben sie schließlich in ihrem Versteck.
Anschließend heißt es in Polen Fuß zu fassen. Keine leichte Aufgabe unter dem neuen Stalinregime. Marcel unterstützt den Geheimdienst sowie den Auslandsnachrichtendienst. Dabei legt er sich den Namen „Ranicki“ zu, da „Reich“ zu sehr an „Deutsches Reich“ erinnert. Die Entlassung aus den amtlichen Diensten, ein Publikationsverbot, der Ausschluss aus der Arbeiterpartei, ein Gefängnisaufenthalt und der beschränkte Zugang zu seiner Lieblingsliteratur schüren in ihm das Verlangen nach West-Deutschland zu fliehen.
Bereits 1949 bekommen Tosia und Marcel einen Sohn, Andrew Alexander. Der Junge erfährt nichts von der für den Sommer 1958 geplanten Flucht. Er reist mit seiner Mutter nach London. Der Vater hingegen unternimmt beruflich eine Reise nach Deutschland. Die drei werden nicht nach Polen zurück kehren. Nach einigen Monaten trifft die kleine Familie in Frankfurt wieder aufeinander.
Dank freundlicher Unterstützung erhält Marcel die Möglichkeit für die FAZ zu schreiben. Er wird fortan den Doppelnamen Reich-Ranicki verwenden. In Deutschland schreibt er in den folgenden Jahrzehnten für verschiedene namhafte Zeitungen, arbeitet für Funk und Fernsehen, wird Chef der Literaturredaktion der FAZ. Er genießt viele Freiheiten, doch begegnet man ihm immer wieder auch mit Vorbehalten.
Er überlebt seine Frau Tosia und verstirbt am 18. September 2013.

Keine 100%

So als Nicht-Journalist und vergleichsweise leistungsschwaches Glühwürmchen(chenchen) der Buchbloggerwelt traue ich mich ja irgendwie so gar nicht richtig an die Autobiografie des scheinbar allmächtigen deutschen Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki heran. „Welches Recht habe ich, diesen großen Mann zu kritisieren?“ frage ich mich. Das einer unbedarften Leserin, sage ich einfach mal.
Dass das Leben dieses so polarisierenden Mannes ein ereignisreiches, dramatisches, tragisches und auch so erfolgreiches war, ist unbestritten. Ob es hingegen auch glücklich war, dass konnte ich der Autobiografie nicht entnehmen.
Selbstverständlich hat man auf jeder Seite die allgegenwärtige Liebe zur (deutschen) Literatur gespürt. Und auch die durchaus zahlreichen Erfolge haben ihren Platz. All die vielen Begegnungen mit (mehr oder weniger) bekannten Autoren, Schauspielern, Musikern, Künstlern aller Art zeigen die Begeisterung, mit der Reich-Ranicki bei der Sache war. Indes ist überall auch spürbar, dass er in gewisser Weise immer außen vor blieb und eben nicht 100% dazu gehörte. Sei das bei der Gruppe 47 oder bei der „Zeit“.
So ähnlich ist auch mein Eindruck von der Autobiografie: Marcel Reich-Ranicki ist nicht zu 100% drin. Natürlich schreibt er über seine Leidenschaft, seine Liebe, seine Erlebnisse, seinen Werdegang. Bei all den kleinen und großen Episoden hatte ich aber das Gefühl, der Autor bleibt außen vor. Das finde ich sehr schade.
Immer wieder zwischendrin fand ich das Buch auch etwas schwer zu lesen. Gerade in den Abschnitten in denen er immer wieder mit Autoren-Namen regelrecht um sich wirft. Wen er wann wo getroffen hat, wer in seiner Radio- und/oder Fernsehsendung zu Gast war, wer in welcher Zeitung rezensiert wurde. Das ist auf Dauer mühselig. Weniger wäre hier vielleicht mehr gewesen.
Ich finde das Buch dennoch lesenswert, weil es Leidenschaft vermittelt, Leidenschaft für Literatur. Und weil es damit auch neugierig auf mehr macht.

 

Autorenporträt
Marcel Reich-Ranicki, geboren 1920 in Polen, lebte von 1929 bis 1938 in Berlin. Nach der Deportation durch die Nazis überlebte er nur knapp das Warschauer Ghetto und kehrte nach dem Krieg nach Deutschland zurück, wo er seine Karriere als Literaturkritiker begann: Er war von 1960 bis 1973 Literaturkritiker der „Zeit“ und leitete von 1973 bis 1988 den Literaturteil der „FAZ“, wo er noch bis zu seinem Tod als Kritiker und Redakteur der „Frankfurter Anthologie“ tätig war. Von 1988 bis 2001 leitete er „Das Literarische Quartett“ des ZDF. Nahezu alle Deutschen kennen Marcel Reich-Ranicki – er war „der“ Kritiker und enfant terrible der Medienlandschaft. In seinem geschriebenen wie gesprochenen Wort spürte man jederzeit die Leidenschaft und Konsequenz, mit der er sich für Literatur einsetzte. Seine 1999 bei der DVA erschienene Autobiographie „Mein Leben“ wurde zum Millionenbestseller. Er erhielt zahlreiche literarische und akademische Auszeichnungen. Marcel Reich-Ranicki verstarb 2013 in Frankfurt am Main.

Buchinfo
„Mein Leben“ von Marcel Reich-Ranicki
Hardcover: erschienen August 1999 bei DVA Belletristik, Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 568 Seiten, € 25,00, ISBN: 978-3-421-05149-3
Paperback: Klappenbroschur, erschienen Januar 2012 bei Pantheon, 576 Seiten, € 14,99, ISBN: 978-3-570-55186-8
eBook: erschienen September 2013 bei DVA Belletristik, Format: ePub, € 11,99, ISBN: 978-3-641-13550-8

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Quellen
Bild: www.randomhouse.de / Text (außer Autorenporträt): Susanne

3 Gedanken zu “Marcel Reich-Ranicki: Mein Leben

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