Ein Buch über das Jüdisch-Sein, über den Umgang mit seiner Herkunft und den Umgang mit den zeitgeschichtlichen Ereignissen des Holocaust. Ein Kaleidoskop verschiedenster Leben zusammengefasst von Patrick Modiano in der Figur des Raphael Schlemilovitch. Ein gelungenes Buch, dem ich mich nicht wirklich gewachsen fühle.
Ich falle heute mal aus der Reihe. Mit einer Inhaltsangabe tue ich mich für dieses Buch irgendwie schwer. Generell ist das Buch für mich schwer zu fassen. Ohne viel Federlesens und Gefühlsduselei beschreibt es den Umgang mit der Judenverfolgung. Es hebt die Verfolger in verdrehter Manier in den Himmel, findet erstrebenswert, auf deren Seite zu stehen. Die Verfolgten wiederrum werden schlecht gemacht, ihre Ächtung scheint nur logisch.
Von Literaturkritikern wurde (und wird) das Buch als Meisterwerk gefeiert. Das Literaturnobelpreiskomitee scheint dem zusätzlich recht zu geben. Ich selbst finde das Spiel mit Klischees, die Verkehrung von Gut und Böse auch sehr gelungen, sogar irgendwie grandios. Doch ich habe den Eindruck, dass ich dem Buch nicht gerecht werde. Oft hat es mich erschüttert, mit der Flapsigkeit und Normalität, mit der über Vergewaltigung und Folter gesprochen wird. Wahrscheinlich ist das ja so gewollt.
Der Protagonist Raphael Schlemilovitch bleibt mir fremd. Man erfährt alles und nichts über ihn. Mit seiner jüdischen Herkunft, seinem jüdisch-sein verbindet ihn eine Hass-Liebe. Er will Jude sein, aber er will auch mit den Nazis andere Juden verfolgen. Eigentlich will er wohl nur anerkannt sein – trotz oder weil er Jude ist. Er schlüpft gedanklich immer wieder in andere Personen. Er heuert als Mädchenhändler an und spielt in der Provence den Charmeur, um seine Opfer einzulullen. In unterschiedlichsten Szenarien gerät er immer wieder in die Fänge der Gestapo. Mal ist er steinreich, später gibt er sein Geld auf und es ist unklar wovon er lebt. Er ist Schüler am Gymnasium, dann wieder kurz Geschichtslehrer, einer geregelten Arbeit geht er nie nach.
Das Leben des Schlemilovitch und damit das Buch ist ein Kaleidoskop an Leben bzw. Lebensentwürfen. Modiano entfacht ein Feuerwerk an Träumen und all die abgebrannten Bruchstücke davon kehrt Schlemilovitch zusammen, um sie dem Leser leidlich zusammengefasst zu präsentieren. Hat jetzt einer verstanden, was ich meine? So ging es mir mit dem Buch. Es klingt schon irgendwie grandios, aber so richtig verständlich ist es nicht.
Empfehlung? Ja.
Kann ich es nun empfehlen oder nicht? Ja. Aber man muss sich wirklich drauf einlassen. Die Inhaltsangabe auf der ersten Seite des Buches zeigt dem Leser klar was ihn erwartet. Achtung: Nicht einfach nur den Klappentext hinten auf dem Buch lesen! Also nicht einfach kaufen, ohne die ausführliche Inhaltsangabe gelesen zu haben.
Autorenporträt
Patrick Modiano, 1945 geboren, ist einer der bedeutendsten französischen Schriftsteller der Gegenwart. Er erhielt zahlreiche Auszeichungen, darunter den großen Romanpreis der Académie française und den Prix Goncourt. 2012 wurde ihm der Österreichische Staatspreis für Europäische Literatur verliehen und 2014 der Nobelpreis für Literatur. Den deutschsprachigen Lesern wurde Modiano durch die Vermittlung Peter Handkes bekannt, der auch zwei seiner Romane übersetzte. Zuletzt erschien sein Roman „Der Horizont“ (2013).
Buchinfo
„Place de l´Etoile“ von Patrick Modiano, erschienen im Mai 2012 bei dtv, Taschenbuch, 192 Seiten, € 8,90, ISBN 978-3-423-14100-0
Quellen
Bild: www.dtv.de / Text (außer Autorenporträt): Susanne
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