Das ist mir fremd

Es gibt Lokalitäten in Stuttgart, die ich im Leben nicht alleine betreten würde. Ich bin viel zu versnobt (und feige), um mich mit einem Buch zwischen die dortigen Gäste zu setzen. Gäste, die mir fremd sind in ihrem Verhalten und ihrem Aussehen und oft auch in ihrer Sprache. Dort gehöre ich nicht dazu.

Hin und wieder aber, lande ich doch in einem solchen Lokal. Nämlich dann, wenn ich mit meiner besten Freundin sonntags unterwegs bin. Sie geht gerne mal zur sonntäglichen After-Hour und chillt mit übernächtigten Partygängern, die seit Mitte der Woche durchfeiern. Manchmal verabreden wir uns dann zu einem harmlosen Kaffeegetränk und unvermittelt stolpere ich in einen Welt, die mir fern ist. So auch vergangenen Sonntag.

Nach einem reichlich unbefriedigendem Pseudo-Brunch, den E, A und ich besuchten, hieß es, wir drei gehen noch einen Kaffee trinken. Kaffee trinken ist immer gut. Da bin ich gern dabei. Dass wir in einer Bar landen würden, ahnte ich nicht. Ich bin da sehr unbedarft.
Die im Lokal befindlichen Gäste waren ein zusammengewürfelter Haufen. Unterschiedlich im Alter, der Herkunft, der Sprache und natürlich im Aussehen. Allen gemein schien nur, dass sie ziemlich fertig aussahen. Übermüdet ob der Feierei seit Donnerstagabend. Denn irgendwie gehen alle schon Donnerstag Party machen und bleiben dann offenbar auf dem Level bis zum Montagmorgen. Verpflichtungen am Freitag kennen sie scheinbar nicht.
Ganz zu schweigen davon, dass kaum jemand noch Herr seiner geistigen Kräfte schien. Benebelt von Alkohol, Gras und sonstigen Drogen, herrschte ein buntes Treiben bei lauter Musik.
Obwohl auch meine beiden Begleiterinnen nüchtern waren, kam ich mir überaus exotisch vor. Im negativen Sinne. Ich gehöre nicht hierher und nicht dazu. Das ist nicht meine Welt mit Suff am Sonntag, Kiffen, Koksen, Pillen und „Hey, haste was dabei?“ Ich bin ein braves Mädchen, geradezu bieder. Du kannst mit mir gern einen Saufen, aber von allen anderen Drogen lasse ich meine Finger. Das ist meine Erziehung. Und so dankbar ich im Grunde dafür bin, gibt es Momente, in denen mich mein brav-sein ärgert. Denn es macht mich zu einem Außenseiter, einer Randgruppe.
Das ist grundsätzlich auch nicht schlimm. Den Großteil meines Lebens bin ich außen vor und alleine. Aber es ist eben etwas anderes zu Hause auf seiner Couch mit sich allein zu sein oder Unterwegs inmitten von anderen Menschen. Egal ob ich nun erstrebenswert finde, wie die anderen sich benehmen oder leben.
In meinem biederen Wollpulli und meinen Komplexen ein atmender Fremdkörper in diesem Konglomerat von alten und neuen Bekanntschaften und Verbundenen Seelen, weil ein Druffi einen anderen eben sofort erkennt. Während E wie ein Kolibri durch den Raum schwirrte und sich mit den Menschen unterhielt. Egal ob schon bekannt oder nicht. Sie kann sowas. Sie macht es einfach. Ich beneide sie. So bin ich nicht, werde ich nie sein.
Einmal geselle ich mich zu E und ihren neuen Bekannten. Ins Gespräch klinke ich mich nicht ein. Ich weiß nichts zu sagen. Ich verstehe auch nicht viel bei der lauten Musik. Also sitze ich nur still da und schlürfe mein Wasser. Und höre zu soweit es geht. Obwohl ich mich eigentlich gern mit dem Typen neben mir unterhalten hätte. Zumindest wollte ich das von Ferne. Er trägt ein scheußliches Hemd, aber drunter ist er offenbar sehr durchtrainiert. (Ich bin ja durchaus empfänglich für optische Reize. *g*)
Neben ihm angekommen, ist offensichtlich, dass ein Gespräch nicht lohnt. Ich bin uninteressant für ihn, denn seine Wahl hat er schon getroffen. Darüber hinaus aber wirkt er auch verbraucht und älter als er ist. Und irgendwie ähnlich verzweifelt wie ich. Vor allem aber wirkt er, als hätten wir uns ohnehin nichts zu sagen.
Männern beim Baggern zuzusehen ist meistens ziemlich übel. Wenn sie von was auch immer benebelt sind erst recht. Oft ist das traurig. Oft auch plump. Wie das berühmte komische Verhalten von Großstädtern in der Paarungszeit. Überhaupt kam ich mir ein wenig wie im Zirkus vor.
Ich bin die Ruhige, die Beobachterin. Die dicke Freundin, die darauf wartet angesprochen zu werden, weil sie sich sonst selten was zu sagen traut im Kreis von Fremden. Am Sonntag war ich zudem die komische Freundin, die keinen Schnaps mit trinkt, die keine Drogen konsumiert, die nicht mal raucht. Die, die nur guckt und alle Getränke selber bezahlt.

Ich habe mich dann doch noch mit einem der Gäste nett unterhalten. Sogar ernsthaft, über normale Dinge. Frei von Angeberei, angestrengter Fröhlichkeit oder Anbaggerei.

Und auf dem Heimweg habe ich mich wieder einmal gewundert, wie es möglich ist, sich gleichzeitig überlegen zu fühlen und doch weniger wert, weil man nicht dazu gehört. Und vor allem aus welchem Grund?

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