Eigentlich wollte ich jetzt hier die Montagsfrage beantworten. Aber ich bin gerade extrem aufgewühlt. In meinem Briefkasten lag heute von Droemer Knaur eine Vorschau aufs Frühjahr 2017 voller Bücher von und über starke Frauen. Eines davon hat mich eiskalt erwischt und irgendwie aus der Bahn geworfen. Das Buch von Thordis Elva und Tom Stranger „Ich will dir in die Augen sehen“.
Es handelt von einer Vergewaltigung. Von Thordis Vergewaltigung. Als sie 16 ist, wird sie nach einer feuchtfröhlichen Party von Tom stundenlang missbraucht. Jahre später nimmt sie Kontakt zu ihm auf, will sich mit ihm treffen. Die beiden schreiben schließlich dieses Buch zusammen.
Zu der Ankündigung gehört die Information Tom Stranger und Thordis Elva kommen im März gemeinsam nach Deutschland und präsentieren ihr Buch. Daneben jeweils ein Bild der beiden Autoren.
Ich weiß nicht recht, was mich gerade so fassungslos macht. Dass ein Vergewaltigungsopfer gemeinsam mit ihrem Peiniger ein Buch schreibt? Dass sie gemeinsam nach Deutschland kommen? Dass Tom so verdammt normal aussieht? Sogar sympathisch.
Eigentlich ist es doch für Thordis wünschenswert, dass sie ihre Opferrolle verlassen kann und mit der Vergebung von Toms Tat für sich ein normales Leben leben kann. Und ist es nicht auch gut, dass sie über ihre Erlebnisse schreibt, um anderen Opfern damit Mut zu machen?
Aber hier kommt eben auch der Täter zu Wort. Der – wenn ich das der Ankündigung recht entnehme – seine Tat bereut. Der sogar als Sozialarbeiter tätig ist und als Ansprechpartner für Vergewaltigungsopfer. Ist das Hohn oder Ironie oder Wiedergutmachung?
Soll ich das Buch bestellen? Es macht mir Angst. Mir ist ganz übel. Wenn mir die Ankündigung schon so nahe geht, wie sehr an meine Grenzen bringt mich dann das Buch selbst? Mir ist jetzt nach einem anständigen Schluck Schnaps. Irgendwas, dass in der Kehle brennt und mir noch mehr Tränen in die Augen treibt.
Ach ja, die Montagsfrage. Von Svenja aka Buchfresserchen wöchtenlich gestellt. Heute nur alibimäßig: Hast du dir schonmal vorgenommen (und es geschafft) länger kein Buch zu kaufen?
Nein. Da ich meinen Lesestoff ja hauptsächlich kostenfrei erhalte, kaufe ich Bücher wann ich dazu Lust habe und sie mir in die Finger fallen.
Interessant, dass Du so heftig reagierst, noch bevor Du das Buch gelesen hast.
Ohne dass ich mich jetzt näher mit dem Buch beschäftig hätte, würde ich spontan sagen, dass beide Autoren nicht dazu gezwungen wurden, sich je wiederzusehen. Dass sich sich miteinander und mit der Tat auseinander gesetzt haben, war wohl beiden ein Bedürfnis. Man müsste das Buch tatsächlich lesen und sehen, ob da immer noch irgendwelche Abhängigkeiten da sind, was genau die Motivation war, aus ihrer Begegnung ein Buch zu machen usw.
Ich muss sagen, dass ich dieses Buchprojekt und die Hintergründe ziemlich spannend finde. Natürlich ein schlimmes Verbrechen, das man nicht entschuldigen kann und das man auch nicht verharmlosen sollte! Aber wenn man es schon nicht ungeschehen machen kann, dann ist Totschweigen auch keine Lösung.
Wenn Du das Buch tatsächlich liest, würdest Du dann auch zu einer Lesung gehen oder schließt Du das von vorne herein aus, weil Dir das zu nahe geht? Mich würde ja schon interessieren, was die beiden zu dem Buch motiviert hat – ich glaube, ich schaue mir dieses Buch mal näher an.
Und ich hoffe, der erste Schock ist bei Dir inzwischen überwunden.
LG Gabi
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Hallo Gabi,
ich bin selber überrascht, wie sehr mich diese Buchankündigung schockiert hat. Inzwischen habe ich mich wieder beruhigt. Ein komischer Nachgeschmack ist aber geblieben.
Du hast natürlich recht: wie sich Opfer und Täter einander gegenüber verhalten, welche Projekte sie zusammen oder eben nicht realisieren, ist deren Sache. Für mich ist es im Moment ungreifbar und unvorstellbar. Womöglich weil der Täter ein Gesicht hat und menschlich wirkt. Nicht wie das Monster, dass man (ich) vermutet.
Meine eigenen Erfahrungen sind nicht annähernd so schlimm wie die von Thordis. Eine irgendwie geartete Zusammenarbeit kann ich mir trotzdem nicht vorstellen.
Ob ich zu einer Lesung gehen würde? Ich schließe es nicht aus. Auch wenn ich nicht weiß, ob ich Tom wirklich ins Gesicht sehen will. Andererseits … wenn Thordis ihm vergeben kann, warum sollte ich als Unbeteiligte Groll gegen ihn hegen. Ich bin ja nicht im Geringsten davon betroffen.
Ich warte mal ab, wann und ob es überhaupt eine Veranstaltung in meiner Nähe gibt.
Liebe Grüße
Sanne
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Hmmmm…. kann man oder frau sich in ein Vergewaltigungsopfer wirklich hineinversetzen, wenn man/frau es nicht selbst erlebt hat? Und somit auch die Gefühle, die Intentionen hinter manchem Handeln verstehen? Ich zweifel immer daran!
Ich kann nur für mich sicher sagen, ich werde es wohl nicht lesen. Einfach aus dem Bauchgefühl heraus, dass ich es mir nicht vorstellen könnte, den Weg wie das „Opfer“ in dem Buch zu gehen. DIESE Öffentlichkeit und Auseinandersetzung mit einem Trauma….
Aber ich denke, das muss jeder selbst entscheiden… Lass Du auch Dein Bauchgefühl sprechen!
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Hallo Bine,
danke für Deine Nachricht.
Meiner Meinung kann man sich nicht wirklich in einen anderen Menschen hinein versetzen. Egal ob Vergewaltigungsopfer oder nicht. Ich denke,das geht noch nicht einmal, wenn man das gleiche erlebt hat. Denn jeder Mensch geht anders damit um.
Mir ist der Gedanke allerdings nicht so fremd, dass Menschen ihre tragischen und traurigen und dramatischen Erlebnisse in einem Buch verarbeiten. Ich lese ja viele solche Bücher, weil es mich interessiert wie Menschen mit Ausnahmesituationen umgehen. Auch aus persönlichen Gründen. Ich selbst würde so ein Buch nie schreiben, aber all die Lektüren haben mir durchaus geholfen.
Ich lasse mir noch ein wenig Zeit mit der Entscheidung für oder gegen das Buch. Es erscheint ja erst in knapp 2 Monaten.
Liebe Grüße
Sanne
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Ohne diesen Post wäre ich wohl gar nicht auf das Buch aufmerksam geworden, also dafür erst einmal „vielen Dank“, wenn man das denn so sagen kann.
Ich muss gestehen, dass ich mich, beim Lesen der Verlagsvorschau zu diesem Buch, nicht zwischen einer gewissen Bewunderung und einer großen Portion Unverständnis entscheiden kann.
Einerseits finde ich es ausgesprochen mutig, die Sache so anzugehen, wie es Frau Elva tut, und damit unter Umständen anderen Betroffenen vielleicht auch Unterstützung und Mut zu geben. Andererseits kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, wie jemand ein solches Publikwerden seiner schlimmsten Momente wollen kann.
Ich glaube tatsächlich, ich würde es mit dem Buch gerne mal versuchen. Einfach aus Interesse und um herauszufinden, was ich genau ich beim Lesen für Emotionen haben würde.
Danke für den interessanten Blogpost!
Liebe Grüße
Jule
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Hallo Jule,
danke für Deine Nachricht.
Und gern geschehen für den Buchtipp. Vielleicht tauschen wir uns ja darüber aus, sollten wir uns beide für die Lektüre entscheiden.
Ich sehe es ähnlich wie Du: einerseits mutig und andererseits unfassbar. Besonders, dass eben nicht nur sie selbst zu Wort kommt, sondern auch der Täter.
Im Übrigen könnte ich mir vorstellen, dass viele Menschen mit schlimmen Schicksalen einfach alles aufschreiben, um es zu verarbeiten. Dass es aber erstmal gar nicht darum geht irgendetwas zu veröffentlichen, sondern nur ums Schreiben und Loswerden an sich. Ein Buch wird oft erst später daraus, wenn man Abstand gewonnen hat. So zumindest meine Theorie.
Liebe Grüße
Sanne
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Liebe Sanne,
ganz genau so sehe ich das auch. Schreiben war auch für mich immer Therapie, und ich bin fest davon überzeugt, dass das auf jeden Fall helfen kann, Eindrücke des Lebens zu verarbeiten. Es gibt da ja verschiedene Ansätze, und z. B. über Erlebtes in einer objektiven Erzählperspektive zu schreiben kann vielleicht gut sein, Abstand dazu zu gewinnen. So stelle ich mir das zumindest vor.
Lass uns gerne in Kontakt bleiben, falls wir uns das Buch zu Gemüte führen.
Liebe Grüße
Jule
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Hallo Jule,
ich habe mich inzwischen entschieden, das Buch zu lesen. Wahrscheinlich wird die Rezension dazu dann hochemotional. Ich lasse mich mal überraschen.
Liebe Grüße und ein schönes Wochenende.
Sanne
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Hallo Sanne,
ich habe einer Freundin davon erzählt, die hat es bereits vorbestellt und wird es mir später leihen. Ich bin sehr gespannt, wie das Buch uns beiden „gefällt“.
Liebe Grüße
Jule
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Hallo Sanne,
Ich muss mich da Zroya anschließen. Ohne deinen Beitrag hätte ich mir das Buch nicht wirklich genauer angeguckt. Im ersten Moment war ich auch ein bisschen geschockt, aber man muss glaube ich echt das Buch gelesen haben, um das noch besser beurteilen zu können.
Es ist auf jeden Fall ein interessaner Weg, den die beiden gewählt haben und mich würde tatsächlich auch interessieren, was ihn in dem Moment dazu getrieben hat, die eigene Freundin zu vergewaltigen. Es ist schon ein echt schwieriges Thema, weil für die Sache, die er getan hat, gibt es keine Entschuldigung, irgendwie muss sie aber dennoch einen Weg gefunden haben, um ihm vezeihen zu können.
Ich werde das Buch auf jeden Fall mal weiter verfolgen und bin gespannt, wie es so ankommen wird.
LG, Moni
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Hallo Moni,
danke für Dein Feedback.
Du hast ziemlich genau in Worte gefasst, was mir auch durch den Kopf ging.
Zwischenzeitlich habe ich mich entschieden, das Buch zu lesen. Falls Du es auch liest, würde ich mich freuen, dann von Dir zu hören/lesen, wie Du es fandest.
Liebe Grüße und schönes Wochenende.
Sanne
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