Peter Hartl: Belogen, betrogen und umerzogen

Es scheint für jeden ganz normal zu wissen wann und wo er geboren wurde. Kaum auszudenken, wie man sich fühlt, wenn man keine Ahnung hat, wann der eigene Geburtstag ist, ja nicht einmal wie alt man selbst ist. Oder man wächst mit einer Überzeugung auf, einem Feindbild gar und ist ganz plötzlich selbst der Feind. Peter Hartl hat mit Menschen gesprochen, die mit diesen Erfahrungen leben müssen. Resultat ist ein erschütterndes Zeitzeugnis.

Journalist Peter Hartl hat mit Menschen gesprochen, die ihrer Heimat entrissen, ihrer Familien beraubt wurden und damit auch ihre Identitäten verloren. Erst nach Jahren kommt die Wahrheit oder wenigstens ein Teil davon ans licht und stürzt die Betroffenen in tiefe Krisen. Die Suche nach den eigenen Wurzeln und dem wahren Ich beginnt, aber ist nicht immer erfolgreich.
Sei das beim eindeutschungsfähigen – weil blond und blauäugig – Alojzy, der nach seiner Entführung aus Polen in Alfred umbenannt wird. Seiner nationalsozialistischen Erziehung schließt sich die Adoption durch eine deutsche Familie an. Bis seine leibliche Mutter sich nach dem Krieg meldet.
Sei es bei Marie, deren tschechisches Dorf Lidice dem Erdboden gleich gemacht wurde, während sie selbst als mit dem Segen germanischer Gene nach Deutschland verschickt wird. Auch sie wird adoptiert, heisst ab sofort Ingeborg und darf nur noch deutsch sprechen. Erst der Zufall und viel Glück fördern ihre tragische Geschichte zu Tage.
Oder Kafina Sinskamp, die mit ihrer Schwester von Deutschland nach Russland verschleppt wird. Die keine Ahnung hat wie alt sie ist oder wo sie geboren wurde, geschweige denn, dass sie ihre Familie kennt. Der die russische Sprache mit Prügel eingebläut wurde. Und die mangels Angaben in ihrem Pass auch heute nicht die Provinz Kaliningrad verlassen darf.
Sieben dieser unfassbaren Lebensgeschichten hat der Autor hier dokumentiert.

Ein erschütterndes Zeitzeugnis aus dem 20. Jahrhundert.

Einfühlsam und menschlich schildert Peter Hartl die tragischen Schicksale der sieben Menschen und ihrer Angehörigen. Mit wenigen Bilder illustriert und den richtigen Worten vermittelt das Buch die Zerrissenheit der Betroffenen.
Es überzeugt mit sachlicher Schilderung und würdiger Anteilnahme. Kommt völlig ohne eigene Gedanken und Interpretationen des Autors aus und dreht sich tatsächlich nur um die verworrenen Lebensläufe.

 

Autorenporträt
Peter Hartl ist Historiker und arbeitet seit 1991 in der ZDFRedaktion Zeitgeschichte. Er ist Autor zahlreicher historischer Fernsehfilme und Begleitbuchtexte.

Buchinfo
„Belogen, betrogen und umerzogen – Kinderschicksale aus dem 20. Jahrhundert“ von Peter Hartl, erschienen bei dtv premium im September 2007, 220 Seiten mit Abbildungen, Euro 15,00, ISBN 978-3-423-24618-7
(Leider ist das Buch im dtv-Programm nicht mehr aufgeführt.)

Quellen
Bild: www.dtv.de / Text (außer Autorenporträt): Susanne

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