Ecu/Gal: Nachtwanderung im Urwald

29. Oktober 2015

Sonnenlicht weckt mich. Es hat aufgehört zu regnen. Das Unwetter hat jedoch Spuren hinterlassen. Dusche und Waschbecken geben kein Wasser her. Das stört mich nicht sonderlich, da ich am Vorabend geduscht habe und ohnehin zum Zähneputzen abgekochtes Wasser aus dem Wasserspender verwende. Die Toilette funktioniert aber immerhin.

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Umgefallen: eine rote Banane (nicht essbar)

Auf dem Weg zum Frühstück offenbart sich zwar nicht unbedingt ein Anblick der Verwüstung. Aber all die abgebrochenen Äste und der naturelle Unrat auf dem Pfad zeigen, dass es durchaus nicht nur ein einfacher Regenguss war.

An der Rezeption sind Clara und Hannah schon fit und hören sich grinsend den Bericht meiner Panikattacke von letzter Nacht an. Und natürlich meine Meldung über die funktionsuntüchtige Dusche. Der männliche Part des deutschen Ehepaars kommt und berichtet ebenfalls, die Cabana habe kein Wasser. Bei denen funktioniert nicht mal das Klo. Das ist doof. Für sie.

Insel Anaconda ohne Anaconda

Nach dem Frühstück wird es Zeit die Insel Anaconda zu besuchen. Entgegen der Namensgebung lebt wohl keine dieser riesigen geheimnisvollen Schlangen mehr dort. Inzwischen ist die Insel zu sehr mit Menschen bevölkert und die Anacondas haben das Weite gesucht. Verständlich.

DSC04284Mit dem Kanu setzen wir über. Gemeinsam mit Juan und Clara folge ich einem schmalen Pfad durch den dichten Urwald. Immer noch unvorstellbar, dass ich tatsächlich durch den Regenwald laufe!

Ich habe meinen Wanderstab sicherheitshalber dabei, denn es ist heute besonders rutschig. Juan spricht über Flora und Fauna, zeigt mir seltene Hoatzine und einen Baum, dessen Blüten am Stamm wachsen und nicht an den Ästen. Wir kommen auch an einem Zimtbaum vorbei. Die Blätter kann man kauen und sie schmecken ebenfalls nach Zimt.

Irgendwann ist der Weg versperrt. Das Unwetter hat einen Baum umgeworfen und wir können nicht weiter. Und Juan hat auch seine Machete nicht dabei. Sie schläft, sagt er. Na klar.

Obstbäume und Wildkräuter

Wir kehren also um und besuchen die Obstplantage einer hier ansässigen Familie. Es gibt Bananen, Kochbananen, Papaya, Avocado und Yucca. Dazu laufen überall Hühner herum. Und es gibt auch viele Wildkräuter hier. Immer wieder greift Juan nach einem Blatt oder Stengel, zerdrückt es und hält es mir zum Schnuppern unter die Nase. Manches riecht wie Knoblauch, anderes nach Thymian oder Rosmarin.

Bald kommen wir am Haus der Familie an. Es steht auf Stelzen, für den Fall das der nahe Fluss ansteigt. Mehrere Hunde und Hühner laufen auf dem freien staubigen Vorplatz herum. Es gibt vereinzelte Blumen, ein Außenklo und eine Lagerstätte für Holz. Das Haus ist ziemlich groß und von einfacher Bauart.

Schließlich dürfen wir eintreten. In einen großen Raum in dem sich eigentlich nur eine Feuerstelle befindet. Es raucht schrecklich, denn gerade hat die Frau des Hauses ein Stück eines Termitenbaus aufgelegt. Dessen Rauch vertreibt wohl die Insekten. Er brennt aber auch in Augen und Rachen und Hals. Gewöhnungsbedürftig als Nichtraucher.

Neben der Feuerstelle liegen einige Früchte auf dem Boden und als Tribut an die Touristen steht hier auch eine Holzbank. Ein Hundewelpe tapst durchs Zimmer und weicht uns aus. Wir nehmen Platz. Links von mir gibt es einen Durchgang zu einem weiteren Raum, der wohl das ist, was wir Küche nennen. Das ist aber eine pure Vermutung, denn ich kann nicht hineinschauen.

Genau gegenüber grenzt ein weiterer Raum an. Auch in den kann man nicht hineinsehen, da die Türöffnung mit einem Vorhang geschützt ist. Ein kleines Mädchen, vielleicht vier oder fünf Jahre alt, lugt immer wieder dahinter hervor.

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Teresa verarbeitet Yucca zu Chicha

Vom Gemüse zum Schnaps

Juan stellt uns Teresa vor. Sie wird uns gleich zeigen wie sie Chicha herstellt. Ein traditionelles und wohl gern getrunkenes Alkoholisches Gesöff aus Yucca bzw. Maniok. Zuerst erklärt Juan die Zutaten und die Gegenstände. Leider habe ich mir nicht alles gemerkt. Das kleine Mädchen lenkt mich ab.

Der (Das?) Yucca wird gekocht und heiß in eine flache Schale gegeben. Dann wird etwas von einer anderen Wurzel (einer Möhre nicht unähnlich) darüber gerieben. Anschließend wird das ganze miteinander vermanscht und zu einem Brei zerdrückt. Es sieht aus wie Kartoffelbrei. Das ist der Teil, den uns Teresa zeigt.

Nach dieser Prozedur wird der Brei, wenn ich es richtig behalten habe, in einem größeren Gefäß mit Wasser aufgegossen und fertig ist das Getränk. Lässt man es länger stehen, beginnt die Mischung nach vier oder fünf Tagen zu gären. Und je länger man es gären lässt, umso höher wird mit der Zeit der Alkoholgehalt.

Ich habe gelesen, dass die Frauen, den Yucca kauen und dann in einen Topf spucken. Juan erwähnt das allerdings nicht. Um die Touristen nicht zu verschrecken oder weil es einfach nicht stimmt, kann ich nicht sagen. Ich habe auch vergessen zu fragen.

Hoch die Tassen!

Teresa bringt uns eine volle Schale mit dem Chicha. Es ist eine gelblich-weiße Flüssigkeit mit sowas wie Fruchtfleisch, also ein paar Fasern vom Yucca drin. Juan trinkt als erster. Er ist das ja auch gewohnt. Ich probiere natürlich auch. Es ist zwar nicht unbedingt mein Geschmack, aber für meine Begriffe auch nicht eklig. Es schmeckt so wie ich mir vorstelle, dass Wasser von gekochten Kartoffeln schmeckt.

Während Clara nach einem Schluck dankend ablehnt, leeren Juan und ich die Schale. Wir bekommen übrigens eine (weitgehend) alkoholfreie Chicha, die erst seit 4 Tagen rumsteht. Besser ist das, denn gleich werde ich mich im Blasrohrschiessen üben. Nicht auszudenken, wenn ich dabei einen Schwips hätte. 😉

Bevor wir uns verabschieden frage ich Juan, ob es für die Menschen hier ein gutes Leben ist oder sehr entbehrungsreich und hart. Das ist vielleicht eine blöde Frage, aber es interessiert mich. Juan sagt es sei ein gutes Leben. Die Menschen hier haben eine Arbeit (meist in den umliegenden Lodges), sie gehen fischen, sie haben die Plantagen und können sich ernähren. Sie können den Überschuss auch auf dem Markt in einem nicht so weit entfernten Ort verkaufen. Außerdem verdienen manche Familien wie die von Teresa sich mit solchen Vorführungen für Touristen noch etwas dazu. Was ich nicht sehe ist der Fernseher im Raum nebenan und offenbar sind auch Handys keine Seltenheit. Die Menschen sind zufrieden und glücklich, weil sie alles haben was sie brauchen: ihre Familie, ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen. Ich glaube ihm nur zu gern.

Wir verabschieden uns von Teresa und treten wieder auf den staubigen Vorplatz. Tief atme ich hier die rauchfreie Luft ein.

Endlich Blasrohrschiessen

Gleich greift Juan nach dem Blasrohr und dem Köcher mit den Pfeilen. Das Rohr ist 2m oder sogar 2,5m – ich hab’s nicht gemessen. Die Pfeile sehen aus wie hölzerne Schaschlikspieße. An einem Ende sind sie mit etwas Baumwolle umwickelt. Das macht sie wohl stabiler. Dann platziert er auf einem einsamen mittig auf dem Vorplatz stehenden Holzstock unser Opfer: eine Holzeule auf einem Ast, knapp 30cm hoch.

Als wir loslegen wollen, stellt sich heraus, das Rohr ist verstopft. Ladehemmung. Ich fürchte schon, ich werde um das Vergnügen gebracht, die Eule zu erschießen – oder zu erblasen? – aber Juan kann die Verstopfung lösen. Er zeigt mir wie der Umgang mit dem Blasrohr funktioniert. Pfeil einführen, Rohr ausrichten und zielen, blasen … und zack, steckt der schlanke Pfeil knapp unterhalb der Eule im Holz.

Den Hund erschossen

Dann bin ich dran. Juan lädt nach. Wie kräftig muss ich den blasen? Ich stelle mir vor, ich brauche eine besondere Technik, wie beim Spielen einer Trompete oder Posaune oder so. Oder muss ich aufpassen, dass ich nicht einatme, wenn ich das Rohr am Mund habe, weil ich sonst den Pfeil mit einatme?

Aber ich mache mir wie immer viel zu viele Gedanken. Ich ziele und atme im Prinzip nur aus, da fliegt der Pfeil schon aus dem Rohr. Ganz einfach. Ich treffe zwar nicht die Eule, aber immerhin den Holzstock auf den sie aufgesteckt ist. Beim zweiten Versuch erschieße ich einen Hund. Nicht wirklich natürlich! Aber mein Pfeil trifft tatsächlich einen der vielen Hundehintern. Juan und ich lachen uns schlapp. Der Hund scheint es gut zu überstehen, denn nachdem er kurz aufgesprungen ist, legt er sich gleich wieder hin. Selbst Schuld, wenn er auch direkt in Schussrichtung liegt.

Ich richte mich neu aus und wage einen dritten Versuch. Der ist so gut, dass mein Pfeil direkt unter Juans stecken bleibt. Nicht übel, wie ich finde. Dann übergebe ich an Clara. Ihre Pfeile verteilen sich über den ganzen Platz und wir haben Mühe sie nachher wieder zu finden.

Wir üben übrigens mit genau den Pfeilen, die auch später für die Jagd verwendet werden. Dann werden sie allerdings mit einem Betäubungsgift präpariert. Denn sollten die Jäger das geschossene Tier nicht finden, kann es wieder abhauen, wenn die Betäubung nachlässt. Außerdem gibt es für jede Distanz ein anderes Blasrohr. Je kürzer die Entfernung, desto kürzer auch das Blasrohr.

Die Touristen kommen

Leider müssen wir dann auch schon das Gelände räumen. Juan drängt zum Aufbruch. Als wir zurück zum Rio Arajuno laufen, sehe ich auch warum. Eine größere Gruppe Touristen kommt an und bekommt vermutlich die gleiche Vorstellung wie ich zu sehen. Da hat Teresa wohl einiges zu tun heute.

Auf meinen Wunsch hin machen wir noch einmal einen Abstecher zur Insel der Wollaffen. Zuverlässig kommen sie auch dieses Mal ans Ufer, um uns zu bestaunen. Ich bin happy. Was für ein toller Vormittag. Wenn ich auch keinen Fisch fange, so könnte ich mit etwas Übung vermutlich meine Familie mit Jagen ernähren. *g*

Am Nachmittag lasse ich mich gemeinsam mit Clara erneut im Reifen, den Fluss hinab treiben. Das ist so schön entspannt. Danach bade ich wieder im Fluss und beobachte das Treiben.

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Die üblichen nachmittäglichen Besucher

Neue Freunde

Während ich vor der Dämmerung wie üblich die Totenkopfäffchen beim Spielen beobachte gesellt sich der weibliche Teil des deutschen Pärchens zu mir: Regina. Wir unterhalten uns und mein Abendessen wird heute nicht so einsam wie die anderen zuvor.

Es ist außerdem eine Reisegruppe von Papaya-Tours angekommen und ein weiteres deutsches Paar: Katrin und Toni aus München. Die beiden werden in der Cabana meine Zimmernachbarn. Es würde mir nicht einfallen, mich einem Paar aufzudrängen, doch beim Dinner beschließen Regina und ihr Mann Andreas und Katrin und Toni, dass wir uns doch alle zusammen an einen Tisch setzen können. Das machen wir dann auch. Ich finde das sehr nett und freue mich.

Die Unterhaltungen drehen sich um das Übliche: wer woher kommt, wer was arbeitet, was er hier im Regenwald schon gemacht hat oder noch machen will, wo er sonst noch hinreist, etc.

Aber 20 Uhr muss ich mich vorerst verabschieden, denn meine Nachtwanderung geht los. Auch die Früchtetruppe hat die Nachtwanderung gebucht. Erfreulicherweise teilen wir uns aber auf. Ich ziehe mit meinen üblichen Begleitern Juan und Clara los. Parallel dazu, aber auf anderen Wegen, erkunden einige Mitglieder der Papaya ebenfalls den nächtlichen Urwald.

Nicht ohne meine Gummistiefel

Zuerst schickt Juan mich auf meine Hütte zurück, um mir Gummistiefel anzuziehen. Ich ging in der irrigen Annahme meine Turnschuhe würden reichen. Ich ziehe auch gleich noch meine dünne Regenjacke an. Mit nackten Armen möchte ich irgendwie nicht durch die Dunkelheit streifen.

Als erstes betrachten wir den wirklich sensationellen Sternenhimmel. Jeder weiß, dass da wo kein Licht ist, die Sterne besser zu sehen sind. Ich habe das auf Mallorca an einsamer Stelle schon einmal gesehen. Aber hier im Dschungel hab ich den Eindruck, das toppt alles. Es ist ein Funkeln und Strahlen über mir am samtschwarzen Himmel, dass man absolut sprachlos ist. Warum zum Teufel ist mir das vorher noch nicht aufgefallen?

Dann wandern wir auch mal los. Jeder hat eine Taschenlampe dabei. Während mein LED-Teil eher eine magere Funzel ist, trägt Juan sowas wie einen Flutlichtstrahler mit sich rum. Selbst Claras Mini-Taschenlampe ist besser als meine.

Nach ein paar Schritten auf dem gekennzeichneten Weg schlagen wir uns in die Büsche. Auch jetzt ist es so, dass Juan Ausschau hält nach Tieren und anderem Sehenswerten, während ich krampfhaft versuche ihm sicheren Schrittes zu folgen.

Die Heuschrecken greifen an!

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Stabheuschrecke bei Nacht

Ich bekomme hauptsächlich Stabheuschrecken und „normale“ Heuschrecken zu sehen. Wobei „normal“ eine Heuschrecke mit einer Länge von 12cm und einem Körperdurchmesser von ca. 2cm meint. Wähhhh…. Und nochmal Wähhhh…. als mich eine der Heuschrecken anspringt. Ich kann Euch leider mein Gesicht nicht zeigen, wenn ich das hier schreibe, aber lasst Euch gesagt sein, der Ekel steht in Leuchtschrift darin geschrieben, wenn ich daran denke. Danach ziehe ich die Ärmel meiner Jacke soweit es geht über die Hände, schließe die Jacke um den nackten Hals und schwitze fortan wie bekloppt.

Auch kleinere Schlangen und ein paar Frösche zeigen sich. Die sind nicht halb so schrecklich in meinen Augen. Da mögen sie giftig sein wie sie wollen. Lieber die als Heuschrecken. Überhaupt zu sehen, wo die Insekten überall hängen und sitzen und zu wissen, ich gehe da immer wieder vorbei oder gar drunter durch … ohmeinGott! Mich gruselts immer noch.

An einer Stelle mitten im Wald bleiben wir stehen und schalten unsere Lampen aus. Ähnlich wie in der Cueva del Sucre auf Isabela ist es stockduster. Ich sehe nur etwas vom Himmel, aber nicht was in meiner unmittelbaren Umgebung ist. Obwohl Juan und Clara dicht bei mir stehen und ich es ja auch hören würde, wenn sie sich bewegen, frage ich mich nach einer Minute flüsternd ob die beiden noch da sind.

Es ist ziemlich laut, das sagte ich ja schon. Die Zikaden machen einen Heidenlärm – egal ob Tags oder Nachts. All die anderen Geräusche kann ich gar nicht zuordnen. Denn da gibt es sicherlich noch Vögel und andere Insekten, die sich bemerkbar machen.

Ich gebe zu ich bin froh, als wir die Taschenlampen wieder anschalten. Mir ist das nicht so geheuer. Von den anderen Gruppen die umherstreifen auf dem Gelände sehen wir lediglich einmal einen Lichtschein durch ein paar Blätter, aber mehr nicht.

Warum ausgerechnet die Nachtwanderung?

Vielleicht fragt sich jetzt der Eine oder Andere „Wenn sie sich so ekelt vor den Tieren, warum macht sie dann eine Nachtwanderung?“ Das ist eine gute Frage. Ich habe sie mir auch mehrfach gestellt. Ich hab keine Ahnung. Ich war neugierig und dachte es wäre interessant. Das war es ohne Zweifel auch. Obwohl ich mich angestellt habe wie ein hysterisches Weib.

Zurück bei meinen neuen Bekannten berichte ich von der Nachtwanderung. Und ich habe eine etwas unruhige Nacht. Ich hätte das vielleicht erst am letzten Abend meines Aufenthaltes machen sollen.

 

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