„Eine Straße in Schottland“ klingt an sich nicht ungewöhnlich. Straßen gibt es schließlich auch in Deutschland und sonstwo auf der Welt. Und doch ist diese eine Straße etwas ganz besonderes. Ein Zeichen für Stärke, für Ausdauer und Mut, für Tatkraft und Vorbild. Eine Straße von Hand gebaut in einer der unwirtlichsten und rauesten Gegenden Schottlands – auf den Hebriden.
Die Hebriden-Insel Raasay in Schottland war nie wirklich dicht besiedelt. Das Land ist unwirtlich, ein Auskommen zu haben und eine Familie zu ernähren eine Herausforderung. Vor allem im Norden der Insel. Dennoch leben einige Familien dort und auch auf den nördlich gelegenen Inseln Fladda und Kyle Rona.
Sie trotzen den Widrigkeiten. Leben ohne Elektrizität, ohne fliessend Wasser, die Kinder legen täglich mehrere Kilometer auf dem Weg zur Schule zurück und wer auf Fladda lebt, muss zusehen, dass er die Ebbe-Zeiten abpasst, um übersetzen zu können. Eine Brücke gibt es nicht. Ebensowenig eine Straße. Nach und nach verlassen immer mehr Menschen die Gegend. Schließlich wird die Schule geschlossen, das Postamt und auch die einzige Telefonzelle wird abgeschafft.
Roger Hutchinson beschreibt die Geschichte der Insel Raasay und ihrer Bewohner. Anhand vieler Statistiken und Aufzeichnungen zu Volkszählungen ab Mitte des 19. Jahrhunderts zeigt er den Bevölkerungsrückgang auf der Hebriden-Insel. Und er berichtet von Malcolm „Calum“ MacLeod.
Calum verbringt sein ganzes Leben auf Raasay. Er liebt das Land, setzt sich dafür ein, hat sein Auskommen damit. Doch dass seine Heimat bevölkerungstechnisch ausblutet, dass kann und will er nicht mit ansehen. Da der nördliche Teil von Raasay nur per Fuss zugänglich ist, steht für Calum fest eine Straße muss her. Und da die Regierung über Jahre hinweg auf keine Petition hierzu reagiert, nimmt er die Sache sprichwörtlich selbst in die Hand.
In den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts macht Calum MacLeod sich auf, eine Straße zu bauen. Mit Hilfe einer Spitzhacke, einer Schubkarre und einem Buch über den Straßenbau. Ca. 20 Jahre lang arbeitet der Mann an diesem Unternehmen und sieht gegen Ende seines Lebens seinen Traum erfüllt.
Über dieses Leben muss man gelesen haben
Roger Hutchinsons Bericht wirkt zunächst wie eine lange Auflistung von Statistiken und ist dementsprechend trocken. Er schlägt regelrecht mit Zahlen um sich. Erst im letzten Drittel des Buches kommt er tatsächlich auf Calum MacLeod und seinen Bau einer Straße zu sprechen. Und dieses letzte Drittel entschädigt für jeglichen Zahlenkrieg auf den vorderen Seiten.
Diese wahre Geschichte ist so unglaublich, Calum MacLeod selbst ist so unglaublich, dass es sich schwer in Worte fassen lässt. So interessant und durchaus wichtig, die Geschichte der Insel bzw. Inselgruppe selbst ist, Calums Leben und Schaffen macht einen sprachlos. So vielseitig versiert und engagiert, auch noch im hohen Alter, geistig so wendig und auf der Höhe, ringt dem Leser Bewunderung ab.
Mag der Anfang des Buches ob der vielen Zahlen schwierig zu lesen sein, es lohnt sich dennoch. Über das Leben dieses so außergewöhnlichen Mannes muss man gelesen haben.
Autorenporträt
Roger Hutchinson wurde 1949 in Farnworth, Lancashire, geboren. Nach einer spektakulären journalistischen Karriere in London ging er 1977 nach Skye, wo er für die West Highland Free Press arbeitete. Heute lebt er auf der Insel Raasay. Sein Buch über Calum’s Road stand monatelang auf Platz 1 der schottischen Bestsellerliste.
Buchinfo
„Eine Straße in Schottland“ von Roger Hutchinson, erschienen Juni 2009 bei dtv, Taschenbuch, 208 Seiten, € 9,95, ISBN 978-3-423-21141-3
(Leider ist das Buch im dtv-Programm nicht mehr aufgeführt.)
Quellen
Bild: www.dtv.de / Text (außer Autorenporträt): Susanne
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