Nachdem ihr Mann tot aus dem Landwehrkanal geborgen wurde, muss die schwangere Charlotte selbst zusehen wie sie über die Runden kommt. Glück im Unglück: Sie hat eine eigene große Wohnung in der Winterfeldtstraße. Bevor sie per Zwangszuweisung ihre Wohnung teilen muss, entschließt sie sich schweren Herzens einige Zimmer zu vermieten und sich somit die Mitbewohner selbst auszusuchen. Neben ihrem nichtsnutzigen Bruder, finden dessen schüchterner Freund, eine Bardame und ein Adliger bei ihr Unterschlupf.
Mein Lieblingssatz: „Dicke Rußwolken stiegen aus schmalen Kaminen und schraubten sich in den grauen Himmel, der schwarzgraue Schneeflocken fallen ließ.“
Berlin, 1923: Die Teuerung verschlingt mit großen Happen den Wert des Geldes. Ein Portemonnaie nützt nicht mehr viel, stattdessen fährt man die wertlosen Geldscheine mit Schubkarren durch die Stadt, um Lebensmittel einzukaufen.
Charlotte und Albert haben in dieser Zeit Mühe über die Runden zu kommen. Beide haben keine Arbeit. Als Fotograf hat Albert auch wenig Aussicht auf eine neue Arbeitsstelle. Das Paar kann nur hin und wieder etwas von den Möbeln verkaufen. Auch die ein oder andere Filmrequisite, die Albert an seinem alten Arbeitsplatz erhalten hat, gibt er zum Verkauf frei. Allerdings nur widerwillig. Als Charlotte schwanger wird, ist die Freude zunächst groß. Doch nicht lange nach der freudigen Nachricht, wird Albert tot aus dem Landwehrkanal gezogen. Seine Witwe ist schockiert und hat keine Ahnung wie es weiter gehen soll.
Charlottes Bruder Gustav hat schließlich eine Idee. Da sie eine eigene große Wohnung habe, solle sie einige Zimmer vermieten. Aufgrund der vielen Wohnungssuchenden würde sie ohnehin bald zwangsweise Mitbewohner zugewiesen bekommen. Da solle sie sich doch lieber vorher ihre Mieter selbst auswählen und ihren Lebensunterhalt sichern, schlägt der arbeitsscheue Halodri vor. Selbstredend wäre er selbst einer der Mieter und hätte auch gleich noch einen Freund parat.
Nur zögerlich stimmt Charlotte zu. Ungern möchte sie die Räume teilen, die bisher nur ihr und Albert gehörten. Wenig später wohnen neben Gustav und seinem zurückhaltenden Freund, den alle nur „den Langen“ nennen, auch die ältliche Bardame Claire sowie der undurchsichtige Adlige Theo von Baumberg bei ihr.
Mit Claire verbindet sie bald eine enge Freundschaft. Gustav geht weiter seinen zwielichtigen Geschäften nach. Der Lange kann kaum seinen Job behalten und landet schließlich in einem recht radikalen Sportverein. Und was Theo von Baumberg so treibt, weiß eigentlich niemand, denn er verbirgt recht geschickt seine wahre Identität.
Trotz der Mieteinnahmen ist das Leben für Charlotte nicht einfacher. Vielmehr wird es dank der Mieter noch nervenaufreibender.
Ich bin begeistert
Ein sehr schönes Buch. Die Geschichte hat genau die richtige Mischung aus Zeitgeschichte, Drama, Liebe, Verrat und Mut zur Selbstverwirklichung. Ich bin begeistert.
Spannend von der ersten Seite an, begleitet man zunächst nur Charlotte durch ihre Wohnung. Man sitzt mit am Tisch, durchstreift mit ihr die Räume, spricht später mit ihren Mitbewohnern. Charlottes Ängste und Zweifel, ihre Wut und später auch ihr Mut sind deutlich spürbar. Auch die Lebenswege ihrer Mieter werden beleuchtet. Im Rahmen der politischen Ereignisse entwickeln sie sich weiter, verändern sich, jagen ihren Träumen nach. Ein Kaleidoskop der Geschehnisse und Gefühle.
Mit schnörkelloser, aber schöner Sprache zieht Johanna Friedrich den Leser in die Ereignisse im Berlin der 20er Jahre. Das Buch lässt einen – einmal angefangen mit Lesen – bis zum Schluss nicht mehr los. Stimmig und liebevoll gezeichnete Charaktere schaffen eine schöne Nähe zum Buch und zu den Protagonisten. Ich empfehle es sehr gern weiter.
Autorenporträt
Johanna Friedrich wuchs nahe Stuttgart auf und hat sich schon früh fürs Schreiben entschieden. Sie war lange als Journalistin tätig, bevor sie ihre Leidenschaft für Geschichte entdeckte. Mittlerweile verbringt sie viel Zeit in Bibliotheken, wo sie sich auf Zeitreisen begibt und ihre Bücher entstehen. Sie lebt in Hamburg, schätzt aber die Nähe zu Berlin, wo sie privat viel Zeit verbringt.
Buchinfo
„Winterfeldtstraße 2. Stock“ von Johanna Friedrich, erschienen September 2014 bei Marion von Schröder
Hardcover: Gebunden mit Schutzumschlag, 416 Seiten, € 19,99, ISBN-13 9783547712001
eBook: Format: ePub, 416 Seiten,€ 16,99, ISBN-13 9783843709415
Quellen
Bild: www.ullsteinbuchverlage.de / Text (außer Autorenporträt): Susanne