Mit dem Maikäfermädchen beginnt es. Hebamme Schwester Käthe wird unerwartet von einer jungen Frau gebeten ein ungewolltes Kind abzutreiben. Käthe weiß, wenn sie jetzt ja sagt, wird sie weitere Schwangerschaftsabbrüche machen müssen. Dabei hat sie doch gelernt, Kindern den Weg ins Leben zu ermöglichen. Die Entscheidung jedoch trifft ihr knurrender Magen, der von Bratkartoffeln phantasiert. So nimmt Käthes gefährliche Aufgabe ihren Anfang.
Mein Lieblingssatz: „Die Tränen brannten auf ihren Wangen und tropften auf das zerrissene Leben, das vor ihr ausgebreitet lag.“
Düsseldorf 1945: Der Zweite Weltkrieg ist vorbei. Die Städte liegen in Schutt und Asche. Käthe hat als Hebamme irgendwie ein Auskommen. Doch auch ihr macht der Hunger zu schaffen. Die Frauen deren Kinder sie entbindet, haben selbst kaum etwas, dass sie ihr geben können. Und die Freude der Mütter nun ein weiteres Maul stopfen zu müssen hält sich mitunter auch in Grenzen. Das wirkt sich auch auf Käthes Entlohnung aus.
Wieder einmal steht Käthe in einer langen Schlange, in der Hoffnung ein paar Graupen zu ergattern. Sie lebt allein, muss sich selbst versorgen. Ihr Mann Wolf ist bisher nicht zurückgekehrt von der Ostfront. Doch sie gibt die Hoffnung auf ihre große Liebe nicht auf. Noch während sie ansteht, erklingt das Lied „Maikäfer flieg“ und eines der Mädchen in der Reihe hat die Vermessenheit es zu singen. Ausgerechnet dieses Mädchen spricht Käthe, die auch heute wieder leer ausgegangen ist, an.
Sie stellt der Hebamme einen Pelzmantel in Aussicht, wenn sie ihr hilft, ein ungewolltes Kind abzutreiben. Käthes Verstand sieht ganz klar, dass sie etwas verbotenes tun soll. Und wenn sie tatsächlich diese Abtreibung vornimmt, werden weitere Frauen wie das Maikäfermädchen zu ihr kommen und gleiches verlangen. Käthes Magen hingegen sieht die warme Mahlzeit, die der Pelzmantel ihr verspricht. Er fällt letztendlich die Entscheidung. Die Hebamme hilft dem Mädchen.
Wie sie geahnt hat, bleibt es kein Einzelfall. Bald steht die nächste Schwangere vor ihr und möchte eine Abtreibung. Und dann noch eine. Und noch eine. Käthe hat zwar Gewissensbisse, aber sie hilft. Und als sie ihre alte Freundin Lilo wieder trifft, machen die beiden geplagten Frauen ein verbotenes, aber florierendes Geschäft auf. Lilo, weil sie ihre 4köpfige Familie irgendwie ernähren muss. Und Käthe, weil sie niemanden hat, der für sie sorgt. Sie hofft noch immer verzweifelt auf die Rückkehr ihres Mannes.
Unglaublich, dass es fiktiv ist
Ein tolles Buch. Dass Gina Mayer hier eine fiktive Geschichte präsentiert ist kaum zu glauben. Es wirkt absolut real, als würde sie über das Leben einer ihrer Großmütter schreiben. Die Personen sind so lebendig, die Kulisse ebenso düster wie realistisch, die zeitgeschichtlichen Hintergründe so erschreckend. Meiner Meinung nach hat die Autorin hier den damaligen Zeitgeist, das Leben ungeschönt eingefangen und zu Papier gebracht.
Käthes Verzweiflung, ihre Trauer, ihre Einsamkeit, ihr Hunger sind zu spüren. Ihre Taten, ihre Beweggründe und ihr schlechtes Gewissen verständlich. Auch ihre Auseinandersetzung mit ihrer Schuld während der Verfolgung von Minderheiten, das Wegschauen, ist verständlich. Ebenso ist Lilos Position nachvollziehbar, genauso wie die von ihrem Mann. Sie alle stellen verschiedene Typen dar, die es ohne Zweifel tatsächlich gab.
Natürlich ist es kein leichtes Buch. Es geht um Abtreibungen, um den Zweiten Weltkrieg, die Gräuel des Holocaust, den verzweifelten Kampf um etwas zu essen. Aber es lässt sich sehr gut lesen. Das Thema ist toll aufbereitet. Auch wenn ich mich bei Büchern über so tragische Ereignisse immer scheue, das zu schreiben, aber es ist unterhaltsam. Es ist spannend und hat mich schnell gefesselt. Und es hat Eindruck bei mir hinterlassen. Eben weil es nicht wie eine fiktive Story wirkt, sondern wie eine Biografie.
Ich empfehle „Das Maikäfermädchen“ sehr gern weiter.
Autorenporträt
Gina Mayer, 1965 in Ellwangen geboren, lebt mit ihrer Familie in Düsseldorf. Bevor sie freie Autorin wurde, hat sie als Werbetexterin gearbeitet. Als Aufbau Taschenbuch sind lieferbar: „Zitronen im Mondschein“ und „Das Lied meiner Schwester“ sowie „Im Land des Regengottes“. Im Verlag Rütten & Loening erschien von ihr: „Leonore und ihre Töchter“. Mehr zur Autorin unter www.ginamayer.de
Buchinfo
„Das Maikäfermädchen“ von Gina Mayer, erschienen bei Aufbau Taschenbuch
Taschenbuch: Broschur, 368 Seiten, € 9,99, ISBN: 978-3-7466-3053-3
eBook: ePUB-Format ohne DRM, 368 Seiten, € 7,99, EAN: 9783841204721
Quellen
Bild: www.aufbau-verlag.de / Text (außer Autorenporträt): Susanne
Huhu 🙂
Das klingt nach einem richtig tollen Buch. Sonst bin ich kein Fan historischer Romane, aber in diesem Fall denke ich wirklich darüber nach, mal eine Ausnahme zu machen.
Vielen Dank für diese wunderbare Rezension! 🙂
Viele liebe Grüße,
Elli
LikeGefällt 1 Person
Hi Elli,
freut mich, wenn ich Dein Interesse geweckt habe. Ich stehe ja unheimlich auf solche Romane mit historischem/zeitgeschichtlichem Hintergrund.
Ich fände es schön, wenn Du das Buch tatsächlich liest und Du dann verrätst, wie es Dir gefallen hat. 🙂
Liebe Grüße
sanne
LikeGefällt 1 Person
Hört sich sehr spannend und interessant an, Danke für die Info!
LikeGefällt 1 Person
Hi Suzy,
sehr gern. 🙂
LikeLike