Die Legende einer regenbogenfarbenen Wasserrutsche lässt Christian Eisert über 25 Jahre hinweg nicht los. Nach dieser langen Zeit macht er sich schließlich auf, um in Nordkorea nach der geheimnisvollen Rutsche des Kim Il-sung zu suchen. Dank strammen Zeitplan und permanenter Beobachtung durch örtliche Reiseführer gar keine einfache Angelegenheit. Und seine aufmüpfige Begleitung macht die Reise auch nicht entspannter.
Mein Lieblingssatz: „Thanh schenkte mir den gleichen fassungslosen Blick, wie sie ihn eben der rostwasserschlierigen Badewanne und dem Stück Duschschlauch ohne Brausekopf geschenkt hatte sowie den beiden undefinierbaren, aber umso stattlicheren Insekten, die uns vom Toilettendeckel aus mit ihren Fühlern zuwinkten, bevor sie, vom Licht der Taschenlampe aufgeschreckt, beherzt in ein kindskopfgroßes Loch im Boden zwischen Wanne und Waschbecken sprangen.“
Im Jahre 1988 hört Christian Eisert zum ersten Mal von der regenbogenfarbenen Wasserrutsche. Er ist zu dieser Zeit Schüler einer Ostberliner Schule, die eine Partnerschaft mit einer Schule in Pjöngjang, Nordkorea pflegt. Und genau dort – in Nordkorea – soll Machthaber Kim Il-sung die legendäre bunte Wasserrutsche erbaut haben.
25 Jahre später beschließt Christian, der inzwischen fürs Fernsehen arbeitet, gemeinsam mit der befreundeten Fotojournalistin Thanh nach Nordkorea zu reisen, um die Wasserrutschte zu suchen und zu fotografieren. Da die Einreiseregeln des asiatischen Landes extrem rigide sind, werden Decknamen benutzt und Identitäten im Internet angepasst. Die Visa werden genehmigt, die Individual-Reise kann losgehen.
Im Urlaubsland werden die beiden von ihren Reiseleitern Herr Chung und Herr Rym begrüßt. Wobei Aufpasser der richtigere Begriff wäre. Ebenso wie einige andere westliche Touristen, werden die Freunde in einen Bus verfrachtet und in die Hauptstadt Pjöngjang gekarrt. Fortan werden sich die Touristen zwar immer wieder begegnen, doch Konversationen werden vermieden.
Das Besichtigungsprogramm ist extrem vollgepackt. Bei keinem dieser Ausflugsziele vergessen Chung und Rym die Herrlichkeit des Großen Führers Kim Il-sung und des Geliebten Führers Kim Jong-il zu erwähnen. Dementsprechend sind die Ausflugsziele beschränkt auf entweder von (oder für oder beides) einem Führer erbaute Gebäude oder ihm zu Ehren abgehaltene Festivitäten. Beispielsweise Geschenkesammlungen, die sich in Bergen verstecken oder eine groteske Blumenschau mit Kimilsungien oder Kimjongilien angereichert mit Waffen.
Die Nöte der Bevölkerung werden schön geredet und/oder ignoriert.
„Freitags fahren keine öffentlichen Verkehrsmittel. Zur Stärkung der Volksgesundheit. … Die Leute hier laufen durchschnittlich dreißig Kilometer am Tag. Deswegen gibt es in Nordkorea auch keine Probleme mit Übergewicht und Diabetes.“ (Zitat Seite 68)
Ebenso wie unliebsame Fragen. Mobile, internetfähige Geräte werden den Besuchern bei der Einreise abgenommen, alle Fotografien bei der Ausreise gesichtet und ggf. gelöscht, der Kontakt mit der örtlichen Bevölkerung verhindert. Die genehmigten Kontakte sind eine Farce. Auch das Schreiben einer schnöden Email gestaltet sich äußert kompliziert.
Die ständige Beobachtung durch die Volksarmee, das permanente Darauf-achten-was-man-sagt, die nicht vorhandene Handlungsfreiheit und nicht zuletzt das ständige Zusammensein, machen den Urlaub zu einer echten Nervenprobe. Nach anstrengenden Tagen steht die Freundschaft von Christian und Thanh unter keinem guten Stern.
Absurd und komisch
Das Buch strotzt nur so vor Absurdität und Komik. Daran ist natürlich zum Teil der sehr unterhaltsame Schreibstil schuld. Zum anderen Teil aber eben auch die Erlebnisse an sich und die regimetreuen Begleiter aus Nordkorea. Dass Christian und Thanh mit König und Königin angesprochen werden, weil Thanh nicht mit Frau Schäfer angeredet werden möchte, die Begleiter sich aber auch nicht die Blöße geben können, sie beim Vornamen zu nennen, ist da noch das Harmloseste. Aber es ist ein ewiger Gag. („Meine Königin … ich möchte nun das Programm von heute sagen. Ist unsere Königin bereit?“ Zitat Seite 91)
Die (nicht zu Unrecht) vom Verfolgungswahn geplagten vermeintlichen Touristen, versuchen sich mit Protest im Kleinen. Wobei meist Thanh hier die Aufrührerin ist, die es beispielsweise wagt, ohne Aufpasser vom Tisch aufzustehen, um allein vom Hotelrestaurant zum Hotel-Ferienhaus zu laufen.
Da das Buch nicht nur die Reise wieder gibt, sondern auch Informationen zum Land und seiner Geschichte enthält, ist es auch eine interessante Lehrstunde über Nordkorea. Auch wer bisher nichts mit dem Land anzufangen wusste, wird danach klüger sein. Lesen bildet eben.
Ich hatte ein prima Zeit mit dem Buch. Meine eigene Kindheit in der DDR hat mich mit dem Autor vereint und die ein oder andere Erinnerung wach werden lassen. Dieses Reisetagebuch passt ja auch gerade perfekt zur Urlaubszeit. Und ich kann es nur empfehlen.
Ein Nachsatz:
Bei aller Komik und allem (unfreiwilligem) Humor sollte einem eigentlich das Lachen im Halse stecken bleiben. Nordkorea ist eine Diktatur. Die Bevölkerung hat keinerlei Rechte, von freier Meinungsäußerung kann keine Rede sein. Wer sich – auch nur vermeintlich – widersetzt wird hingerichtet. Touristen werden nur ins Land – und wieder raus – gelassen, wenn sichergestellt ist, dass keine unerlaubten Bilder oder Dokumente mitgebracht oder mitgenommen werden. Obwohl zwischenzeitlich wohl die Mitnahme von Mobiltelefonen erlaubt ist. Das ändert jedoch nichts daran, dass Nordkorea streng kontrolliert, was nach außen dringt.
Ganz abgesehen davon ist das Land ein Pulverfass. Ein Pulverfass mit Atomwaffen, die es bereit ist einzusetzen. Und eine Entspannung im seit Jahrzehnten schwelenden Konflikt mit Südkorea ist nicht in Sicht.
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Autorenporträt
Christian Eisert, geboren 1976 in Ostberlin, ist TV-Autor, Satiriker und Comedy-Coach. Er schreibt Gags, Sketche und Drehbücher u. a. für Harald Schmidt und die Fernsehshows Alfons und Gäste und Grünwald Freitagscomedy. Erste Erfahrungen mit Nordkorea sammelte er im Jahr 1988, als er an seiner Schule zu Ehren einer Gästedelegation aus Pjöngjang Arbeiterkampflieder sang.
Buchinfo
„Kim & Struppi – Ferien in Nordkorea“ von Christian Eisert, erschienen August 2015 bei Ullstein
Hardcover: Klappenbroschur, 320 Seiten, € 14,99, ISBN-13 9783864930201
Taschenbuch: Broschur, 320 Seiten, € 9,99, ISBN-13 9783548376004
eBook: Format: epub, 320 Seiten, € 12,99, ISBN-13 9783843707022
Quellen
Bild: www.ullsteinbuchverlage.de / Text (außer Autorenporträt): Susanne
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