Oliver Sacks beschäftigt sich mit dem komplexen und faszinierenden Gebiet der Wahrnehmung. Sein neues Buch voller neuer Fallgeschichten heißt „Das innere Auge“. Interessant und unterhaltsam geschrieben, ist für den Leser eine Vorbildung in Sachen Fachbegriffe oder ein entsprechendes Lexikon zur Hand ratsam.
Lillian ist eine begabte Musikerin. Sie spielt Klavier und gibt viele Konzerte. Doch nach ihrem 60. Geburtstag lässt ihre Fähigkeit Noten zu lesen nach. In den weiteren Jahren kann sie sich zunehmend nur noch an Formen und Farben orientieren. Schließlich benötigt sie sogar Hilfe um sich in ihrer eigenen Wohnung nicht zu verlaufen.
Und doch spielt Lillian wunderbar Klavier. Sie lernt neue Stücke indem sie diese nur (zum Teil nur einmal) hört und arrangiert sie im Kopf sogar neu. Lillian leidet unter musikalischer Alexie – sie kann keine Noten mehr lesen.
Pat ist eine gesellige Frau in mittleren Jahren. Sie geht leidenschaftlich gern zu Ausstellungen, trifft sich mit Freunden, gibt Partys. Wenige Jahre nach dem Tod ihres Mannes, erleidet Pat einen Schlaganfall. Als sie sich davon erholt, bleibt ihre linke Seite gelähmt. Was aber viel schwerer wiegt: plötzlich versteht sie niemanden mehr. Pats Verständnis für Sprache ist abhanden gekommen. Sie kann weder selbst sprechen, noch schreiben oder lesen und auch andere Menschen nicht mehr verstehen.
Nur mühsam mit Hilfe ihrer Töchter und engagierter Therapeuten kämpft sie sich zurück ins Leben. Pat kann zwar nicht mehr in ihrer ursprünglichen Sprache sprechen, doch kann sie sich auf andere Art und Weise verständlich machen.
Oder Oliver Sacks selbst. Der Autor leidet unter Prosopagnosie – Gesichtsblindheit. Das heißt er erkennt Menschen nicht an ihrem Aussehen, sondern lediglich an Stimmen bzw. wenn sie sich ihm vorstellen. So erkennt er weder seine langjährige Assistentin und auch seinen Psychoanalytiker, den er bereits seit vielen Jahren aufsucht. Dazu gesellt sich eine ausgeprägte Orientierungslosigkeit, die ihn mitunter nicht einmal sein eigenes Haus erkennen lässt.
Ein anderer Fall ist „Stereo Sue“. Aufgrund einer Fehlstellung ihrer Augen, ist Sue nicht in der Lage Dreidimensional zu sehen. Erst als sie sich genauer mit dieser Fehlstellung beschäftigt, eine Sehtherapeutin aufsucht und täglich übt, nimmt sie mit knapp 50 Jahren das erste Mal ihre Umgebung in 3D wahr.
Unterhaltsam und lehrreich, aber mit Luft nach oben
Aus persönlichem Interesse habe ich das Buch regelrecht verschlungen. Die kurios anmutenden Fälle der mitwirkenden Personen sind sehr interessant. Allerdings lässt der Buchaufbau ein bischen zu wünschen übrig.
Neben dem langen Literaturverzeichnis und dem Namensregister, ist eine Auflistung der Fach- und Fremdbegriffe mit einer kurzen Erläuterung und/oder Übersetzung wünschenswert. Darüber hinaus ist die Vielzahl der Fußnoten im Text recht hoch. Vieles hätte wohl ohne weiteres in den laufenden Text integriert werden können.
Nichtsdestotrotz empfehle ich die Lektüre, da sie unterhaltsam und lehrreich zugleich ist. Eine Lexikon um die vielen Fachbegriffe nachzuschlagen ist, sollte man jedoch zur Hand haben, wenn man kein Medizinstudent oder Arzt ist.
Autorenporträt
Oliver Sacks, geboren 1933 in London, praktiziert als Neurologe und ist der Autor von zehn Büchern, darunter «Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte» und «Awakenings, Zeit des Erwachens». Er lebt in New York City und ist Professor für Neurologie und Psychiatrie an der Columbia University.
Buchinfo
“Das innere Auge“ von Oliver Sacks, erschienen Januar 2011 bei Rowohlt, Sachbuch/Naturwissenschaften/Biologie, Genetik, Medizin, Hardcover, 288 Seiten, € 19,95, ISBN 978-3-498-06408-2
Quellen
Bild: http://www.rowohlt.de / Text (außer Autorenportät: Susanne
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