27. Oktober 2015
Mein Tag beginnt mit einem Käfer. Einem echt fetten. Schwarz und groß. Wähhh. Er liegt auf dem Rücken, direkt vor meinem Bett. Wähhh! Genau da, wo mein Fuß landet, wenn ich aufstehe. Wähhhhhh!!! Glücklicherweise sehe ich ihn bevor ich das Bett verlassen will.
Gedanken von herabfallen Käfern, die auf dem Bett und vielleicht sogar in meinem Gesicht landen, versuche ich eilig zu verdrängen. Am Fußende steige ich aus dem Bett und gehe erstmal ins Bad. Hoffentlich geht das nicht jeden Morgen so. Danach befördere ich den Käfer – der wider Erwarten (noch?) nicht tot ist aus meiner Cabana in die Natur. Tendenziell eher unsanft, aber das ist mir wurscht.
Ich bin schon kurz nach Sonnenaufgang wach und habe Hunger. Frühstück gibt es pünktlich 8 Uhr. Eine Stunde später starten die Ausflüge. Mein Guide ist Juan, ein Indigena der bei den Mahlzeiten auch bedient. Weil er nur spanisch spricht, begleitet uns auf der heutigen Wanderung auch Hannah. Sie ist meine Dolmetscherin. Genauso wichtig wie die Führer sind im Urwald die Gummistiefel. Die Lodge stellt ihren Gästen welche zur Verfügung und man soll sie bei jeder Wanderung tragen.
Der erste Ausflug in den Primärwald
Zunächst fahren wir mit dem Kanu bis zur Schwesterlodge Runa Huasi etwas den Fluss hinauf. Nach einem Plausch mit dem dortigen Personal bekomme ich eine Kriegsbemalung. Juan zeigt mir einen Strauch, aus dessen Frucht eine natürliche rote Farbe gewonnen wird. Er halbiert die Schale und zerdrückt mit einem kleinen Stock die darin befindlichen Samen. Ein roter Saft tritt aus. Und der wird genutzt, um den Körper zu bemalen als auch bei Keramik. Mir malt er ein Zeichen ins Gesicht, das wohl auf letzterem zu finden ist. Ich bin dann wohl eine Tasse oder so. Auch Hannah bekommt was gemalt.
Danach folgt eine weitere Lektion in Sachen Handwerkskunst: Juan zeigt uns wie man aus einem Palmblatt einen Ring macht. Wenn man das Prinzip verstanden – und nicht allzu fette Finger – hat, ist das gar nicht so schwer. Er erklärt auch wofür sonst noch die verschiedenen Blätter verwendet werden.
Dann veranschaulicht er uns warum die mir bekannte Hummerschere im Urwald Papageienblume genannt wird. Die wachsen hier überall, was mich sehr begeistert. Er bricht ein – ich nenne es mal – Blütenblatt ab und setzt es sich auf die Nase. Zum Verwechseln ähnlich. Das sorgt natürlich für Gelächter.
Zitronenameisen als zweites Frühstück
Anschließend beginnt der beschwerliche Teil. Nicht nur, dass wir uns auf einem schmalen Pfad durch den Primärwald schlagen, es geht dabei auch noch bergauf. Meine großspurige Beteuerung vom Vortag ich würde hier ohnehin nie irgendwas im Urwald anfassen, lasse ich schnell fallen, denn ich muss mich immer wieder festhalten.
Mit seiner Machete schneidet Juan uns den Weg frei und hackt mir schließlich einen Wanderstab. Danke. Der ist wirklich sehr hilfreich, denn es ist sehr rutschig. Die Blätter auf dem Boden sind nass und glitschig und sie verdecken heimtückische Wurzeln. Der Pfad ist schmal und mitunter droht man am steilen Hang abzurutschen. Die Gummistiefel mögen nützlich sein, aber das Laufen darin ist gewöhnungsbedürftig.
Neben Wanderpalmen und Zedern und allerlei anderen Bäumen kommen wir auch an einem Baum vorbei an dem Zitronenameisen leben. Sie sind ganz klein, nur 3 oder 4mm, aber sie schmecken tatsächlich nach Zitrone. Hannah und ich probieren und sind ganz begeistert.
Bis wir endlich beim Ceibo – diesem großen Baum mit dem riesigen Brettwurzeln – ankommen, haben wir schon einige Pausen einlegen müssen. Der Schweiß läuft mir in Strömen übers Gesicht. Wanderung und Klima zusammen sind übel anstrengend. Zumal ich auch kaum dazu komme mich umzusehen, weil ich ständig auf den Boden schaue, um zu gucken wo ich hintrete.
Dass es nun bergab geht, macht die Sache nicht wirklich leichter, denn es ist genauso steil und rutschig. An einem Bach zeigt Juan uns eine weitere Möglichkeit für Naturfarben. Diverse Steine eigenen sich zum Bemalen von Körper oder Keramik. Auf einen größeren Stein malt er für uns die verschiedenen Farbentöne in Braun und Grün.
Traurige Geschichten in der Tierrettungsstation
Nach ca. 2h kommen wir am AmaZOOnico an. Es handelt sich um eine Tierrettungsstation, deren Ziel es ist, die Tiere wieder auszuwildern. Bei vielen ist das jedoch gar nicht möglich. Die Geschichten die Juan mir erzählt sind ausnahmslos traurig. Haustiere die falsch gehalten wurden, Tiere die der Zoll beschlagnahmt hat, weil sie geschmuggelt werden sollten oder Tiere, die einfach ausgesetzt wurden. Gerade die Haustiere können sich oft nicht selbst ernähren und sind ein Leben lang auf die Betreuung angewiesen. Ein kleiner Nasenbär hat dank falscher Ernährung eine untypische Fellfärbung, Vögeln wurden die Flügel gestutzt, damit sie nicht wegfliegen, ein Kapuzineräffchen hat deformierte Gliedmaßen, weil es in einem viel zu kleinen Käfig gehalten wurde. Ein Wollaffe ist so aggressiv, dass seine Auswilderung wieder rückgängig gemacht werden musste.
Aber es gibt auch Erfolgsgeschichten. Während alle anderen Tiere in großzügigen Gehegen gehalten werden, turnen einige Totenkopfäffchen in den Bäumen. Sie werden gerade ausgewildert. Sie bekommen noch etwas zu essen auf dem Gelände, können sich aber ansonsten frei bewegen. Besucher sind angehalten, die Affen nicht anzusprechen oder großartig zu beachten und schon gar nicht anzufassen. Die Tiere sind nicht zutraulich, kommen aber dennoch teilweise recht nah heran. Es fällt natürlich schwer, die kleinen Kerlen nicht zu beachten und den Fotoapparat stecken zu lassen, wenn sie einem geradezu vor die Linse hüpfen.
Keine Faultiere 😦
Im Amazoonico leben neben Papageien in verschiedenen Größen auch Ozelote, Tapire, Schweine, Nasenbären, verschiedene Affenarten, Wasserschildkröten, Kaimane und ein Tukan. Außerdem gibt es eine unsichtbare Anaconda. In ihrem Terrarium ist sie nicht zu entdecken. Keiner sieht sie. Bei unserem Rundgang werden wir begleitet von Trompi, dem hübschen Trompetervogel. Er läuft uns einfach hinterher. Ein Faultier ist derzeit aber leider nicht da.
Im Amazoonico arbeiten ausschließlich freiwillige Helfer. Auch hier Deutsche und Schweizer. Es sind zu wenig Mitarbeiter für die vielen Tiere und überhaupt sind die Kapazitäten bereits erschöpft. Es gibt keinen Platz für noch mehr Tiere.
Um das Gefühl zu haben, sie zu unterstützen kaufe ich im Souvenirshop einen aus Balsaholz geschnitzten und bunt angemalten Tukan. Angeblich haben Indigenas ihn gefertigt, die 2-Tages-Reisen vom Amazoonico entfernt leben. Sie kommen einmal im Monat aus ihrer Abgeschiedenheit und liefern die Handarbeiten ab.
Viel zu schnell sind wir durch die Tierstation gelaufen. Per Kanu geht es zurück zur Liana Lodge.
Besuch von den Affen
Nach dem Lunch versuche ich den Franzosenkindern zu entkommen, die lautstark ihre Anwesenheit bekräftigen. Ich verziehe mich in meine Cabana und werde dort beim Lesen von Müdigkeit übermannt. Aber was sollte einem Nickerchen auch im Wege stehen?
Geweckt werde ich durch Affengeschrei. Müde ziehe ich die Gardine ein Stück beiseite und kann tatsächlich auf dem Bett liegend sehen, wie auch hier Totenkopfäffchen in den Bäumen toben. Sie sind auf dem Weg vom Futterplatz zu ihrem Schlafbaum direkt neben unserem Essbereich. Wie unbezahlbar ist das denn?
Zur Dämmerungszeit beobachte ich sie wieder in Flussnähe und habe nach dem Essen einen weiteren ruhigen Abend.
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