Mechtild Borrmann: Die andere Hälfte der Hoffnung

Am 26. April 1986 ereignete sich im Kernkraftwerk Tschernobyl (Ukraine) eine Reaktorkatastrophe. Die Verantwortlichen versuchten die Ereignisse zu verharmlosen, spielten die Gefahren herunter. Als Tage später endlich die umliegenden Ortschaften evakuiert wurden, waren die Bewohner und ihr gesamtes Hab und Gut, einfach alles bereits hoffnungslos verstrahlt. Das gefährliche Gift saß in jedem Gegenstand, den die Menschen aus Nostalgie und Not heraus (Bilder, Schmuck, Kleidung, etc.) mit in ihr neues Leben nahmen. Krankheit und Tod waren die Folge, Abneigung und Angst schlug ihnen entgegen. Die meisten geräumten Ortschaften wurden vergraben und die Gegend großräumig als Entfremdungszone abgesperrt. Obwohl es verboten ist, dort zu leben, gibt es Menschen, die in den verlassenen Häusern Unterschlupf fanden und finden. Diese realen Ereignisse bilden den Hintergrund zum neuen, packenden Roman von Mechtild Borrmann.

Lieblingssätze: „Aber wie soll sie den Feind beschreiben? Der Feind, der sich nur in diesem boshaften Krächzen der Geigerzähler zu erkennen gibt.“

_Die andere Hälfte der HoffnungWalentyna kann sich die Kosten für ihre Wohnung in Trojeschtschina nicht leisten. Also zieht sie kurzerhand in ein Häuschen in der Entfremdungszone. Vor vielen Jahren gab es im nahe gelegenen Kernkraftwerk einen Reaktorunfall. Der Boden ist nach wie vor verstrahlt. Noch immer ist es verboten sich hier aufzuhalten. Doch Walentyna hat bis zur Katastrophe mit ihrer kleinen Familie hier gelebt. Sie war glücklich, glaubte sich am Ziel ihrer Wünsche.
Nun sitzt sie in einem giftigen Gebäude und wartet auf Nachricht von ihrer Tochter Kateryna. Die 18jährige ist vor wenigen Monaten mit ihrer Freundin Olena nach Deutschland gegangen, um dort schnell Geld für ihr Studium zu verdienen. Seit der Abreise hat Walentyna nichts mehr von ihr gehört. Auch Olena meldet sich nicht bei ihrer Familie. Während Walentyna auf Nachricht von Kateryna wartet, will sie für ihr Kind all die Ereignisse ihres Lebens aufschreiben.
Indess sucht der suspendierte Milizionär Leonid Kyian in Düsseldorf nach der verschwundenen Kateryna und ihrer Freundin Olena. Bereits bei seiner Arbeit in der ukrainischen Miliz war er einem Fall von Menschenhandel auf der Spur, der über die Universität nach Deutschland führt. Seine Ermittlungen wurden nicht gern gesehen. Nun ist er auf eigene Faust nach Deutschland gereist, um die beiden Mädchen zu finden. Die schwierige Recherche findet ihr jähes Ende in seiner Verhaftung.

Ein großartiges Buch

Auch mit ihrem neuen Buch hat Mechtild Borrmann mich gefesselt. Innerhalb kürzester Zeit habe ich die packende Geschichte um Walentyna, Kateryna, Olena und Leonid gelesen. Nicht nur, dass die Vergangenheit zu grausigem Leben erweckt wird, auch die Story der Gegenwart lässt an Spannung keine Wünsche offen.
Figuren und Story sind absolut überzeugend. Schon auf Seite 1 war klar, dass ich das Buch nur im Notfall aus der Hand legen würde. Und ich behielt recht. Es gibt keine großartige, lästige Love-Story – die einzige Liebe um die es geht, ist die einer Mutter zu ihrer Tochter. Das Buch sprudelt auch nicht vor Humor. Vielmehr widmet es sich auf realistische Weise und ohne großes Brimborium den tragischen Ereignissen in der Vergangenheit und deren Folgen. Ebenso wie es glaubhaft die Machenschaften von Mädchenhändlern darstellt.
Abgesehen von der extrem ansprechenden Mischung aus Gestern und Heute, liegt für mich der Reiz in Mechthild Borrmanns Geschichte auch im Schauplatz der Entfremdungszone um das Kernkraftwerk Tschernobyl.
Ein absolut großartiges Buch, dass ich mit Begeisterung weiter empfehle.

Autorenporträt
Mechtild Borrmann, Jahrgang 1960, verbrachte ihre Kindheit und Jugend am Niederrhein. Bevor sie sich dem Schreiben von Kriminalromanen widmete, war sie u.a. als Tanz- und Theaterpädagogin und Gastronomin tätig. Mit „Wer das Schweigen bricht“ schrieb sie einen Bestseller, der mit dem Deutschen Krimi Preis 2012 ausgezeichnet wurde. Mechtild Borrmann lebt als freie Schriftstellerin in Bielefeld.

Buchinfo
„Die andere Hälfte der Hoffnung“ von Mechtild Borrmann, erschienen September 2014 bei Droemer,
Hardcover: 320 Seiten, € 19,99, ISBN: 978-3-426-28100-0
eBook: 320 Seiten, € 17,99, ISBN: 978-3-426-42572-5

Quellen
Bild: www.droemer-knaur.de / Text (außer Autorenporträt): Susanne

6 Gedanken zu “Mechtild Borrmann: Die andere Hälfte der Hoffnung

    • „Wer das Schweigen bricht“ habe ich diese Woche erst gelesen. Die Rezension dazu kommt noch. 🙂 Das finde ich auch ganz toll. Ich bin sehr begeistert. Auch „Der Geiger“ hat mir sehr gut gefallen.

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  1. Sehr gutes Buch, dem stimme ich zu. Für mich zählt Mechthild Borrmann zu den ganz großen Erzählerinnen der Gegenwart. Die Kombination aus Familien- und Zeitgeschichte, gewürzt mit einer Prise Krimi fesseln unglaublich an die Bücher.
    ‚Wer das Schweigen bricht‘ habe ich auch erst nach dem Geiger und diesem hier gelesen, fand ich aber nicht ganz so gut.

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